Harald Walach
„Der Placebo-Effekt“, so habe ich im letzten Blog gezeigt, sollte eigentlich umbenannt werden in „Selbstheilungs-Effekt“ (www.homöopathie-forschung.info/placebo/). Ist also Homöopathie doch Placebo, also eine Arznei, die nur so tut als wäre sie eine, aber in Wirklichkeit nur psychologische Prozesse im Patienten auslöst, die dann zu einer Regulation und damit zur Selbstheilung führen? Ich hatte ja gesagt: die klügste und spezifischste Therapie wäre eine solche, die es verstünde solche Prozesse anzuregen und systematisch zu nützen. Ist also nun Homöopathie eine Placebotherapie in diesem Sinne, dass sie solche Selbstheilprozesse ausschließlich über psychologische Prozesse anregt und damit zu Linderung oder Heilung von Krankheit beiträgt?
Nehmen wir einen Teil der Antwort vorweg: Selbst wenn dem so wäre, dann wäre Homöopathie eine raffinierte Therapie die etwas kann, was andere Therapien kaum in dieser Systematik und allenfalls mit mehr Aufwand können. Sie löst nämlich solche Selbstheileffekte, folgt man den Daten von unkontrollierten, systematischen Beobachtungsstudien, bei etwa 70% der Patienten aus, so dass Diagnosen und Symptome bei etwa einem Viertel der Patienten, die fast ausschließlich an chronischen Problemen litten und vorbehandelt waren, nach einem Jahr verschwunden waren [1, 2].
Homöopathie ist Placebotherapie: Argumente dafür
Folgende Argumente sprechen dafür, dass Homöopathie eine Therapie ist, die über psychologische Prozesse Selbstheileffekte auslöst:
1) Es ist sehr schwer in klinischen Studien die Überlegenheit homöopathischer Therapie über Placebo eindeutig zu belegen
Auch wenn ich in meinem Kommentar zum EASAC-Dokument (www.homöopathie-forschung.info/easac/) geschrieben habe, dass sowohl die alten, als auch die neuen meta-analytischen Befunde zeigen, dass zumindest über alle Studien hinweg Homöopathie von Placebo unterscheidbar ist, so ist daraus noch keine wissenschaftliche Tatsache konstruierbar. Denn eine wissenschaftliche Tatsache entsteht erst dann, wenn ein empirischer Befund so hart ist, dass selbst Skeptiker nicht daran vorbeikommen, ihn anzuerkennen und wenn der wissenschaftliche Diskursprozess diese Befunde allgemein akzeptiert hat. Dazu würde auch eine akzeptable Theorie gehören, die nicht in Sicht ist. Hinzu kommt, da muss man den skeptischen Argumenten recht geben, dass es sehr schwierig ist, im klinischen wie im experimentellen Feld replizierbare Befunde zu erzeugen. Anders gesagt: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Eine einzige klinische Studie, die positiv ist, heißt noch nicht, dass der Befund wissenschaftlich erhärtet ist. Es könnte sich um eine Zufallsschwankung handeln; Leute könnten sich getäuscht haben; es könnten unerkannte systematische Fehler passiert sein. Deshalb will man ja Replikationen, idealerweise durchgeführt von unabhängigen Forschungsgruppen [3]. Und die sind in der klinischen und experimentellen Forschung nicht so häufig. Deshalb gibt es zwar eine Überlegenheit über Placebo über alle Studien hinweg [4], aber nicht, wenn man nach replizierten klinischen oder experimentellen Paradigmen sucht. Es gibt zwar, so scheint es, in der experimentellen Grundlagenforschung einige replizierbare und replizierte Paradigmen, aber auch diese sind nicht ganz so einfach zu beurteilen.
Jedenfalls würde ich aus meiner eigenen Forschungserfahrung heraus tatsächlich bestätigen: die Inkonsistenz der Befunde in der Homöopathieforschung ist hoch, und dies spricht nicht dafür, dass wir es mit einem systematischen, klassischen pharmakologischen Effekt zu tun haben. Sonst wäre es uns wohl gelungen die in der unkontrollierten Praxis dokumentierten großen Effekte bei Kopfschmerzen etwa, in einer Serie von kontrollierten Studien einzufangen. Genau das ist bei den vorliegenden Studien zu Kopfschmerzen nicht gelungen. Und nur bei wenigen klinischen Syndromen sieht die Lage anders aus. Wenn man also das Kriterium einer, besser mehrerer, replizierter Serien von Studien in einem Forschungsmodell anlegt, dann ist zumindest in der klinischen Forschung der Unterschied von Placebo kaum zu sichern.
2) Die sog. „spezifischen“ Arzneimittelprüfungssymptome tauchen in homöopathischen pathogenetischen Studien oder Arzneimittelprüfungen nicht nur unter homöopathischen Arzneien, sondern auch unter Placebo auf
Einer der Pfeiler der Homöopathie ist ja die Prüfung von homöopathischen Arzneien am Gesunden. Das bedeutet: freiwillige Gesunde nehmen homöopathische Arzneien, meistens in potenzierter Form, zu sich und notieren die Symptome, die sie beobachten. Diese werden dann, zusammen mit Symptomen aus Vergiftungsberichten bei toxischen Substanzen oder Symptomen, die man bei Kranken beobachtet hat, die mit dem Arzneimittel geheilt wurden, zu den anzeigenden Symptomen der Arzneimittellehre. Das heißt, wenn ein Kranker dieses Symptom, meistens zusammen mit anderen, aufweist, dann verwendet man diese Arznei zur Behandlung. So ist die Arzneimittellehre entstanden, die mehr als 2000 Arzneien kennt, von denen wohl etwa 250 zu den häufiger verwendeten Arzneien gehören, deren Symptomatik ein guter homöopathischer Arzt mindestens im Überblick kennen sollte. Die Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Symptomensammlungen in den Arzneimittellehren stimmen und wirklich spezifisch sind. Es haben sich schon viele homöopathische Ärzte oder solche, die zu homöopathischen Ärzten wurden oder sich wieder von ihr abwandten, darüber beklagt, wie wenig klar eigentlich ist, ob diese Symptome wirklich stimmen.
Viele der originalen Arzneimittelbilder stammen etwa von Hahnemann selbst. Der hat immer wieder die gleichen Leute als Prüfer verwendet. Auch wenn er ein guter Beobachter war, tauchen bei den gleichen Prüfern auch unter verschiedenen Arzneien immer wieder ähnliche Symptome auf. Ist vielleicht ein Teil der in der Arzneimittellehre enthaltenen Symptome einfach der individuellen Symptomatik einzelner Prüfer geschuldet? Andere Prüfungen sind mit kaum mehr nachvollziehbarer Methodik gemacht. Die meisten, auch neueren Prüfungen, würden modernen methodischen Ansprüchen nicht standhalten [5]. Und bei neueren Prüfungen, die mit sorgfältiger Verblindung und Randomisierung arbeiten, tauchen die vermeintlich spezifischen Arzneimittelsymptome auch in Placebogruppen auf. Ich weiß von Prüfungen, wo neue Arzneimittel geprüft wurden und wunderbare Symptome erzeugt haben; fast alle in der Placebogruppe. Und manche publizierte Prüfungen zeigen dieses Dilemma sehr offenkundig [6, 7]. Ich selber habe auch solche paradoxen Effekte in meinen eigenen Prüfungen gesehen. Und erst wenn man ein paar methodische Tricks anwendet gelingt es mit einiger Sicherheit die Trennung von homöopathischen Prüfsymptomen und Placebosymptomen zu zeigen; aber auch dieser Befund ist im Moment noch nicht repliziert. [8-11]
Jeder der homöopathische Arzneimittelprüfungen gemacht hat weiß: auch in streng verblindeten Placebogruppen tauchen die spezifichen Arzneimittelsymptome auf; manchmal kriegt sie der Hund oder die Ehefrau oder der Freund derjenigen Person, die eigentlich das Arzneimittel prüfen soll. Das spricht nicht unbedingt dafür, dass wir es hier mit einem systematischen, klassischen pharmakologischen Effekt zu tun haben.
3) Durch die ausführliche Anamnese werden vor allem psychotherapeutische Effekte ausgelöst, die einen Placeboeffekt plausibel machen
Homöopathische Therapie macht es nötig, dass Ärzte, vor allem in chronischen Fällen, eine ausführliche Anamnese erheben, die alle Bereiche des Lebens umfasst, von den akuten Symptomen bis zu anderen Krankheiten, deren Geschichte, der Frage nach Beziehung und Sexualität bis hin zu Vorlieben für Nahrungsmittel und Freizeit, etc. Daher sind homöopathische Erstgespräche ausführlich, in den dokumentierten Studien bei der Hälfte aller Patienten bis zu 2 Stunden, oder auch länger [1]. Qualitative Befragung von Patienten hat außerdem gezeigt: es ist genau diese ausführliche Beschäftigung mit ihrer Symptomatik, die die Homöopathie für Patienten so attraktiv macht [12]. Während die durchschnittliche Konsultationsdauer in der Allgemeinarztpraxis für komplexere Fälle etwa 5 Minuten 40 Sekunden beträgt, bei Männern kürzer bei Frauen etwas länger [13], wenden Homöopathen selbst bei Nachkonsultationen mindestens 15 Minuten auf. Das macht plausibel: Was hier eigentlich passiert, ist ja eine verkappte Psychotherapie. Patienten fühlen sich verstanden, gesehen, gehört, ernstgenommen und das erleichtert, schafft Vertrauen, Hoffnung und Entspannung; all die Effekte, von denen wir gesagt haben, sie sind dazu angetan einen Selbstheileffekt auszulösen.
Das stimmt sicherlich. Die Frage wäre: Sind diese Effekte ausreichend? Warum kommen dann normale und in ihrer Kunst geschulte Psychotherapeuten mit einem ausführlichen Erstgespräch und einigen kürzeren Folgegesprächen ohne weitere Interventionen nicht zu dem gleichen Ergebnis? Man würde Psychotherapeuten nämlich ziemlich Unrecht tun, würde man davon ausgehen, sie täten nichts als einfach explorieren, zuhören und verstehen.
Eine spannende Frage wäre: Was wäre, wenn „normale“ Ärzte sich der homöopathischen Anamnesetechnik bedienten, ausführliche Gespräche führten und anschließend „nichts“ tun bzw. Placebokügelchen verteilen? Hätten sie die gleichen Effekte? Wir wissen es nicht, weil es eine solche Studie nicht gibt. Ansatzweise wurde das in einer allerdings zu kleinen Studie untersucht und da zeigte sich, dass der Gesprächseffekt sehr groß war und der Beitrag der Substanz nicht erkennbar [14]. Allerdings ist das kein wirklich belastbarer Befund, weil die Studie ihre eigenen Rekrutierungsziele verfehlte und zu wenig statistische Mächtigkeit hatte.
4) Die homöopathischen Substanzen enthalten keinerlei Wirkstoffe, können also pharmakologisch nur Placebos sein
Das ist das Standardargument der Homöopathiekritik seit Hahnemanns Zeiten. Es ist zweifellos richtig, dass man vor allem in den höheren Potenzen keine Moleküle der Ausgangsstoffe mehr findet oder allenfalls in so niedriger Konzentration, dass die Verunreinigungen im Alkohol, im Glas, im Wasser, viel mehr ins Gewicht fallen und eigentlich alle homöopathischen Hochpotenzen chemisch ziemlich ähnlich sind und wie ein Gemisch aus Silicea, Bor, Strontium und noch ein paar anderen Elementen, die vor allem aus dem Glas kommen, angesehen werden müssen [15].
Die Frage ist allerdings: Ist die implizite Voraussetzung richtig, dass nur molekular-substanzielle Effekte physiologisch relevant sein können, wenn sie in wägbarem Sinne nachweisbar sind? Also bis zu einer Verdünnungsgrenze, mit der der Organismus auch operiert und die liegt derzeit bei etwa 10-9, also einer homöopathischen Potenz von D9 oder C5? Ich glaube nicht, dass es dafür irgendein plausibles Argument gibt außer, dass dies die Standard-Voraussetzung der Pharmakologie ist. Was aber, wenn diese in manchen Fällen nicht stimmt? Was, wenn es auch andere physiologische Effekte geben könnte? Elektromagnetische zum Beispiel, die wir mittlerweile kennen? Oder magnetische? Oder Kopplungseffekte an schwache, aber spezifische Felder? Oder noch andere Effekte, von denen wir noch gar keine Ahnung haben? Das führt uns zu Gegenargumenten.
Homöopathie ist keine Placebotherapie: Argumente dagegen
1) Es gibt keine einzige medizinische Therapieform des 18. Jahrhunderts, die trotz der Weiterentwicklung der Medizin und trotz kontinuierlicher Anfeindungen und Forschungsrückschläge immer wieder Renaissancen und Popularitätsschübe im gleichen Masse erlebt hat, wie die Homöopathie
Die Homöopathie ist ein Kind des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Damals gab es eine Fülle von Therapievorschlägen, die wesentlich populärer waren, als die Homöopathie, zum Beispiel der Brownianismus, der bei der geistigen Elite damals sehr beliebt war, weil logisch und einleuchtend [16]. Der Brownianismus ist sang- und klanglos untergegangen, obwohl er viele Unterstützer im kulturellen und medizinischen Mainstream hatte. Nicht aber die Homöopathie. Warum? Man könnte argumentieren, dass andere Naturheilverfahren, die damals aufkamen – die Wasserkuren von Prießnitz oder die Naturheilkunde von Kneipp und anderen – immer noch populär sind, was aber wenig über deren spezifische Effekte aussagt. Das mag sein. Mein Argument hier ist: wenn nichts, aber wirklich auch gar nichts, hinter der Homöopathie stecken würde, wäre dann nicht davon auszugehen, dass sie durch eine Art praktische Empirie aus dem Feld verschwunden wäre? Und zeigt nicht die schiere Tatsache, dass es die Homöopathie immer noch gibt, sehr zum Leidwesen vieler Intellektueller, die seit Hahnemanns Zeiten nicht müde werden sie zu bekämpfen, dass irgendetwas an ihr interessant sein muss? Die Homöopathie hat in ihrer Geschichte viele Rückschläge hinnehmen müssen. In den USA ist sie in Folge des Flexner-Reports und der Umstrukturierung der medizinischen Ausbildung, als Folge des Bannes der American Medical Association zu Beginn des 20. Jahrhunderts fast völlig von der Bildfläche verschwunden und erlebte dann wieder eine Renaissance. Warum? In Deutschland hat die braune Aneignung der Homöopathie und Naturheilkunde nicht unbedingt dazu beigetragen, sie den demokratischen Folgeinstitutionen und der Nachkriegsgeneration zu empfehlen, und der von den Nazis angestrengte Beweis der Homöopathie wurde aus verschiedenen Gründen nie erbracht [17]. Trotzdem ist die Homöopathie wieder neu populär geworden. Warum? Man kann sicher nicht allen Homöopathiefreunden vorwerfen, sie seien verkappte Nazis, wie das manche tun.
Wir haben heute in Deutschland vermutlich eines der besten medizinischen Versorgungssysteme der Welt. Daran kann es kaum einen Zweifel geben. Das scheint mir vor allem auf die Versorgung von Notfällen und akuten Erkrankungen zuzutreffen. Bei der Versorgung chronischer und funktioneller Beschwerden scheint das System weniger effizient zu sein. Denn sonst würden Menschen ja kaum nach anderen Optionen suchen. Alle Daten die wir kennen sprechen dafür, dass die typischen Homöopathiepatienten solche sind, die vorher alle möglichen konventionellen Optionen ausprobiert haben und entweder wegen deren Wirkungslosigkeit oder wegen unerwünschter Nebenwirkungen zum Homöopathen kommen. Woran liegt das? Offenbar müssen diese Patienten dort eine Form der Hilfe erfahren, die sie anderswo im System nicht erhalten haben. Ist das nur der Gesprächskompetenz der Homöopathen geschuldet? Ich weiß aus den Daten unserer eigenen Studie, dass Patienten oftmals durchaus unzufrieden sind mit der Tatsache, dass sie so viele intime Daten preisgeben müssen, um eine homöopathische Behandlung zu erhalten. Und wenn ich an das denke, was ich so von und über homöopathische Gespräche weiß, dann scheint mir eine Wirkung die nur auf dem Gespräch basiert, eher unwahrscheinlich. Dazu sind, mit Verlaub, die meisten Homöopathen zu schlechte Psychotherapeuten. Das allein scheint also keine ausreichende Erklärung dafür zu sein, dass es die Homöopathie noch immer, und mit gleichbleibender Popularität, gibt.
2) Die Popularität der Homöopathie scheint mit der Tatsache zusammenzuhängen, dass es immer wieder gut dokumentierte, manchmal spektakuläre, manchmal erstaunliche klinische Erfolge gibt, die nicht leicht erklärbar sind.
Eine offenkundige Ursache für den historischen Erfolg der Homöopathie sind ihre klinischen Erfolge. Das begann damit, dass homöopathische Behandlungen in den großen Cholera- und anderen Epidemien des 19. Jahrhunderts klinisch erfolgreicher waren als konventionelle, wodurch die Homöopathie ihren Siegeszug in Europa angetreten hat [18]. Das heißt nicht unbedingt, dass der Erfolg durch die homöopathischen Arzneien verursacht worden wäre. Die Tatsache, dass homöopathische Ärzte ihren Cholerapatienten Wasser gaben, was die konventionellen Ärzte nicht taten, und für eine freundliche Atmosphäre sorgten war möglicherweise ausreichend; denn neuere Versuche, diese Cholerabehandlung zu replizieren sind fehlgeschlagen [19].
Aber wenn man sich die homöopathischen Arzneimittellehren und die Literatur durchsieht, stößt man immer wieder auf erstaunliche Fallberichte. Nicht wenige von ihnen fügen die Bemerkung bei, dass der Behandler selbst nicht geglaubt habe, dass ein Erfolg denkbar wäre. Ich denke da etwa an den Fallbericht, den Charette in seiner Arzneimittellehre bei Arsenicum album anführt [20]. Ich kürze ab: Charette berichtet über einen Fall, den er 1927 behandelt hatte. Ein Mädchen hatte ihn zu ihrer sterbenskranken Mutter gerufen, die mit Typhus diagnostiziert worden war und aus dem Krankenhaus zum Sterben entlassen worden war. Er fand sie in einem Zustand vor, in dem er den Tod sehr nahe wähnte und gab ihr aufgrund der Symptomatik und auch, um ihr das Sterben zu erleichtern Arsenicum album C12 mit der Anweisung, das einige Tage weiterzunehmen. Als niemand den Totenschein abholt, sieht er erstaunt nach und findet die Patientin gebessert, die er dann noch eine Weile weiterbehandelt und nach 2 Wochen ohne Fieber und mit besserer Gesundheit wieder antrifft. Es folgen ein paar Komplikationen, die er mit anderen Arzneimitteln auffängt und nach 2 Monaten ist die Frau, der man den Tod prophezeit hatte, gesund.
Das ist einer von vielen Fällen aus der Literatur. Man kann nun natürlich anführen, dass Fälle nichts beweisen. Das stimmt. Aber sie können widerlegen und sie können gute Anhaltspunkte geben. Man kann mit Fällen etwa widerlegen, dass homöopathische Effekte nur bei trivialen Erkrankungen auftreten. Tun sie nicht, wie wir eben gesehen haben. Man kann mit sehr gut dokumentierten Fällen mindestens eine starke Korrelation von homöopathischer Arzneiwirkung und Symptomatik belegen. Das tut etwa folgender moderne Fall, der frei verfügbar ist [21]: Krebserkrankungen der Fortpflanzungsorgane sind bei Kindern sehr aggressiv. Dieser Fall handelt von einer solchen Behandlung bei einem indischen Mädchen. Die Eltern wollten keine konventionelle Nachsorge, nachdem der Primärtumor operiert worden war, sondern entschieden sich für eine homöopathische Behandlung. Eigentlich wäre aufgrund der Tumormarker eine Chemotherapie angezeigt gewesen, weil das Rückfallrisiko sehr groß war. In diesem Falle fand die Nachbehandlung mit einer mittelhohen Potenz von Tuberkulinum statt, die langsam in ihrer Höhe gesteigert wurde. Das Interessante an dem Fall aber ist nicht die Tatsache, dass das Kind nach einiger Zeit völlig beschwerde- und rückfallfrei mit einer Nachbeobachtung von 6 Jahren war, sondern dass innerhalb der Behandlung eine Heilungskrise auftrat, wie sie häufig zu beobachten ist. Starke Hautsymptome traten auf, die eine andere Arzneiwahl nötig machten. Eine Weiterbehandlung mit homöopathischem Pulsatilla in hoher Potenz führte zu einer graduellen Abheilung dieser Beschwerden und am Ende zu einer Stabilisierung. Interessant an diesem und ähnlichen Fällen ist: die therapeutische Tradition kennt solche Krisen, dass etwa Symptome von innen nach außen, also von einer Manifestation innerer Organe auf die Haut wandern und dass eine Folgebehandlung im homöopathischen Sinne dann das Terrain bereinigen kann. Eine solche Sequenz über Placebo-Effekte plausibel zu machen scheint mir zwar nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich zu sein.
3) Wenn Homöopathie nur als pharmakologisches Placebo wirken würde, dann würde man eine andere Datenlage erwarten
Die Aussage „Homöopathie ist nichts als ein Placebo“ ist, wissenschaftslogisch gesprochen, eine Allaussage. Und wissenschaftslogisch genügen einzelne Beispiele, die dieser Aussage widersprechen, um sie in ihrer Allgemeinheit als ungültig zu erweisen. Ich meine, dass die Fülle von Gegenbeispielen, die in Form von Fallgeschichten und Anekdoten vorliegt mindestens ein Gegenbeispiel birgt, die die Aussage unplausibel erscheinen lässt, dass Homöopathie immer und überall als Placebo anzusehen ist. Oben habe ich zwei Beispiele erwähnt, und man könnte vermutlich ein Leben damit zubringen, alle Fälle zu sichten und in diesem Sinne zu diskutieren.
Auch die Tatsache, dass mindestens manchmal in klinischen und experimentellen Studien so große Schwankungen auftreten, dass die Effekte sehr stark und statistisch sehr auffällig sind, ist nicht mit der Placebohypothese kompatibel. Natürlich sind auch Schwankungen denkbar, die extrem stark sind. Aber diese kommen selten vor und sollten dann durch Schwankungen balanciert werden, die in die andere Richtung mindestens ebenso stark sind, also Placebo gegenüber Homöopathie stark bevorzugen. Davon ist in der Literatur wenig zu sehen. Man müsste dann schon die etwas unplausible Hypothese bemühen, dass alle negativen Studien unpubliziert bleiben. Das ist unwahrscheinlich. Denn es gibt ja negative Studien, aber eben über alle Studien hinweg gesehen nicht ausreichend viele. Noch stärker wird das vielleicht sichtbar, wenn wir uns demnächst der Grundlagenforschung zuwenden.
4) Effekte tauchen häufig erst nach einer dritten oder vierten Verschreibung auf, wenn zusätzliche Informationen vorliegen und oft, wenn die Hoffnung bereits verpufft ist
Ein weiteres Phänomen, das schwer mit der Placebo-These erklärbar ist, ist folgendes: Erste Verschreibungen, manchmal auch zweite, sind nicht selten völlig wirkungslos bzw. sie lösen einen leicht als Placebo-Effekt erkennbaren kurzen Besserungsschub aus, der schnell verschwindet. Eigentlich müsste man ja folgendes erwarten: Wenn ein solcher Selbstheileffekt aufgrund des Gesprächs zustande kommt, dann sollte er in den meisten Fällen sofort nach der ersten Verschreibung sichtbar werden. Denn dann ist die Erwartung auf beiden Seiten hoch. Wenn die erste und auch die zweite Verschreibung aber wirkungslos geblieben sind, warum sollte dann eine dritte Verschreibung, die vielleicht auf eine zusätzliche Information hin erfolgt, die durch eine nebenbei gemachte Äußerung bekannt wird, einen Effekt auslösen, den die ersten beiden nicht ausgelöst haben, wenn der generische Prozess der Kommunikation immer der selbe ist? Diese strikte Abhängigkeit der Verbesserungen von den richtigen Schlüsselsymptomen, die oft zu einer etwas ungewöhnlichen Arzneimittelwahl führen und dann relativ rasch und auch nach wenigen Worten geschehen können, sind mit einer reinen Placebo-These nicht gut vereinbar. Ein Kollege erzählte mir einmal folgende Geschichte: Eine Patientin bekam im Rahmen einer Homöopathie-Studie einen heftigen Hautausschlag, der es nötig machte, sie aus der Studie zu nehmen. Der verzweifelte Mann hatte sie im Auto gebracht. Der Kollege schrieb ihm ein Cortisonrezept und meinte noch, er könne ja bei der Gelegenheit vorher nochmals in der Apotheke Urtica urens C30, eine homöopathische Zubereitung der Brennessel, holen und ihr geben, bevor er das Cortison anwenden würde. Das tat er, gab der Frau im Auto noch die homöopathische Arznei. Bei der nächsten Ampel beobachtete, wie sie eingeschlafen war und als er nach Hause kam war der Ausschlag praktisch weg und das Cortison unnötig geworden. Möglicherweise war das Wissen um das Vorhandensein des Cortisons genug, um einen solchen Effekt auszulösen? Warum funktioniert das dann bei Millionen von anderen Menschen nicht, die das Cortison tatsächlich nehmen müssen, damit der Hautausschlag verschwindet? Homöopathisch ist der Fall klar: der Ausschlag hat dem Symptomenbild des Brennesselausschlages entsprochen und also hat die Arznei sehr rasch und präzis funktioniert.
Fassen wir zusammen:
Mir scheint die Datenlage mit zwei Hypothesen nicht kompatibel zu sein: Sie stützt nicht die Aussage, dass Homöopathie immer als Placebo anzusehen ist. Sie stützt aber auch nicht die Aussage, dass Homöopathie ein klassisch-pharmakologisches Signal ist, wie das die meisten Befürworter der Homöopathie meinen und was die Kritiker der Homöopathie voraussetzen, wenn sie die Homöopathie kritisieren.
Homöopathie scheint, zumindest manchmal und mit einer gewissen Systematik, Effekte auszulösen, die man von einer völlig unspezifischen Intervention nicht erwarten würde. Wie sie das tut ist völlig unklar. Vielleicht verbirgt sich dahinter ein kluger Trick, um Selbstheilreaktionen im Organismus auszulösen. Falls dem so wäre, dann wäre es von größter Bedeutung herauszufinden, wie sie das tut. Denn warum sehen wir solche Effekte dann nicht in anderen Therapien? Oder: wie könnten wir andere Therapien so gestalten, dass sie ebenfalls solche Selbstheileffekte auslösen? Das ist eigentlich die Gretchenfrage, die sich aus der Homöopathie ergibt. In der Zwischenzeit scheint die Homöopathie ein probates Mittel zu sein, solche Selbstheileffekte auszulösen.
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