Wirklichkeit, Fakten, Realität

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Der ursprüngliche australische Homöopathiebericht des National Health and Medicine Research Council (NHMRC) und ein paar Gedanken zu Daten in Zeiten politischer Kämpfe

Harald Walach

Zu Zeiten, in denen sich selbst ansonsten kluge Leute wie der halbe Grünenvorsitzende Robert Habeck zu öffentlichen Aussagen hinreißen lassen, die Homöopathie hätte keine über den Placebo-Effekt hinausgehende Wirkung, ist es nützlich zu überlegen, woher so vielbeschäftigte Leute wie Habeck und viele andere in den Medien die Zeit nehmen, um sich so gründlich zu informieren, dass sie solche Sätze ungeschützt und offenbar ohne jede Zweifel formulieren können. Meistens stößt man dann ziemlich rasch auf den sog. „Australischen Homöopathiebericht“ oder, ausführlicher, den Bericht des Australian National Health and Medical Research Council (NHMRC). Das ist ein sog. Health Technology Report, also ein pragmatischer Bericht darüber, inwiefern eine Intervention, in dem Fall die Homöopathie, der Sache nach gut genug wirkt und politisch und ökonomisch vertretbar ist. Solche Berichte mischen in der Regel wissenschaftliche mit pragmatisch-politischen Erwägungen, weil es am Ende darum geht, eine Intervention im Rahmen eines öffentlichen Gesundheitssystems anzubieten.

Dieser NHMRC-Bericht zur Homöopathie kam zum Schluss, Homöopathie hätte keinen wesentlich über den Placebo-Effekt hinausgehende Wirkung und solle daher nicht im Rahmen des öffentlichen Gesundheitssystems Australiens angeboten werden. Dazu muss man zwei Dinge wissen:

  1. Der Bericht stützt sich nicht auf Originalliteratur, also auf die originalen klinischen Studien, die eigentlich allein eine Basis für solche Schlussfolgerungen abgeben. Er geht vielmehr nur auf die Ebene der sekundären Analysen, also systematische Reviews und Meta-Analysen, deren Prämissen und Schlussfolgerungen er übernimmt.
  2. Der offiziell publizierte Bericht ist bereits der zweite seiner Art. Der erste verschwand still und heimlich in der Schublade der Medizinbürokraten. Warum?

Hier wird es spannend. Die Tatsache, dass es einen ersten Vorgängerbericht gab, war lange ein gut gehütetes Geheimnis der australischen Behörden, bis über einige Leaks bekannt wurde, dass es einen unter Verschluss gehaltenen Vorgängerbericht gab (https://www.informationen-zur-homoeopathie.de/?p=1037). Australische und später auch englische Homöopathen und Institutionen bemühten sich zunächst auf informellem, dann auf formellen Weg den Zugang zu dem ursprünglichen Bericht zu erhalten. Als das nichts fruchtete klagte das Homeopathic Research Institute (HRI) in London zusammen mit einigen australischen Homöopathen formell auf Freigabe des Berichts im Rahmen des Freedom of Information Acts, also der öffentlichen Verfügbarkeit von behördlichen Informationen. Das war nun erfolgreich und vor einigen Wochen wurde der erste Bericht, grummelnd und mit vielen Wenns und Abers freigegeben.1 Hier kann man ihn nachlesen: https://www.hri-research.org/resources/homeopathy-the-debate/the-australian-report-on-homeopathy/.

Dort tauchen dann erstaunliche Dinge auf: Die Autoren des Berichts, eine unabhängige universitäre Arbeitsgruppe, die ansonsten meines Wissens wenig mit Homöopathie zu tun hat, kommen zu dem Schluss, dass Homöopathie bei folgenden Indikationen einen zwar nicht unbedingt starken, aber immerhin vorhandenen Beweis der Wirksamkeit über Placebo hinaus erbracht hätte:

  • Otitis media
  • Ileus
  • Fibromyalgie
  • Obere Atemwegsinfekte bei Erwachsenen
  • Nebenwirkungen von Krebsbehandlungen, und zwar Stomatitis und Dermatitis, die aufgrund von Bestrahlungen und Chemotherapie auftreten können

Das sind wohlgemerkt nur diejenigen Indikationen, für die ausreichend viele Studien für quantitative oder qualitative Zusammenfassungen nach Indikationsgebieten möglich sind und für die diese Zusammenfassungen positiv ausgefallen sind. Für viele andere Gebiete gibt es gar keine Zusammenfassungen, und für manche fielen diese auch negativ aus.

Warum dieser erste Bericht in der Schublade verschwand und umgehend ein neuer in Auftrag gegeben wurde, wird das Geheimnis der Behörde bleiben. Die offizielle Lesart ist: Der erste Bericht sei nicht ausreichend wissenschaftlich gewesen. Wer auch nur kursorisch den ersten Bericht liest, in dem dann auch die Randbemerkungen des Lektors oder der Lektorin des NHMRCs zu finden sind, der kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Da hat irgendjemandem die Schlussfolgerung nicht gefallen und darum mussten ausreichend viele Haare in der Suppe gefunden werden, um sie neu kochen zu lassen.

Es ist übrigens interessant sich die einzelnen Indikationen anzusehen: Es sind allesamt solche, für die konventionell wenig Behandlungsoptionen bestehen. Bei Otitis media, eine hauptsächlich bei Kindern vorkommende Krankheit, werden zwar gerne Antibiotika verordnet. Diese sind aber zum einen meistens nicht indiziert, weil die Erkrankung bei Kindern häufig viralen Ursprungs ist und außerdem auch nicht sonderlich effektiv in der Verhinderung von Komplikationen2,3, führen überdies zu Resistenzbildungen4 und erhöhen die Gefahr späterer chronischer entzündlicher Darmerkrankungen und Diabetes 5,6.

Bei Fibromyalgie sind allenfalls verhaltenstherapeutische Hilfen und vielleicht Achtsamkeitsinterventionen erfolgversprechend, aber keine konventionell-pharmakologischen. Für die anderen Indikationen gibt es keine guten konventionellen Optionen der Behandlung. Warum also will man partout die vorhandene Datenlage, die zeigt, dass die Homöopathie hilfreich sein kann, nicht zur Kenntnis nehmen? Könnte es sein, dass, wie schon des Öfteren beobachtet, weniger die Daten als eine politisch-weltanschauliche Voreingenommenheit den Ausschlag gibt?

Aber einmal ganz abgesehen von diesen Argumenten und Informationen: Ein tertiärer Literaturbericht, und um einen solchen handelt es sich hier, kann nur so gut sein, wie die sekundäre Literatur, die in ihn einfließt. Manche dieser sekundären Reviews sind ganz ordentlich, setzen aber manchmal Einschluss Kriterien, die die in Frage kommende Originalliteratur einengen, und verkürzen so das Bild, ganz abgesehen davon, dass einige Akteure in dem Feld gerne mal schlampig arbeiten, was man erst bei genauerem Hinsehen bemerkt7.

Ich finde, ein nationaler HTA-Bericht, der bindende Wirkung haben soll, sollte sich zumindest die Mühe machen, die Originalliteratur zu sichten. Ginge nicht, sagten die Auftraggeber ursprünglich, weil zu viel Literatur da wäre und das zu lange dauern würde. Interessant, oder? Auf der einen Seite hört man immer, es gäbe keine Information und keine Studien zur Homöopathie, auf der anderen Seite begründet eine offizielle, staatliche Beratungsbehörde es wäre zu viel Originalliteratur, als dass man sich in sie vertiefen könne. Ein anderer HTA-Bericht zur Homöopathie, der die Originalliteratur gesichtet hat, kommt zu genau gegenteiligen Schlüssen8: Homöopathie sei effektiv und solle Teil des Gesundheitssystems sein.

Ich habe bereits in meinem letzten Blogbeitrag darauf hingewiesen: Weder beim NHMRC-Bericht noch in der momentanen Debatte geht es um Daten. Wenn es nur um Daten ginge, blieben lediglich zwei Optionen: Entweder, man verwendet die gängigen Kriterien, die für alle medizinischen Interventionen gelten. Dann müsste man die Homöopathie zähneknirschend als wirksam anerkennen. Oder man verwendet die durchaus harten und oftmals überaus scharfen Kriterien, die die Cochrane Collaboration anwendet. Dann würde man vermutlich dem zweiten NHMRC-Bericht folgen und argumentieren, es gäbe zwar Studien zur Homöopathie, aber die sind noch nicht groß genug, gut genug, repräsentativ genug. Dann müsste man aber auch vermutlich 80% dessen, was in der konventionellen Praxis geschieht aus der öffentlichen Versorgung, genauer aus der Erstattung ausschließen. Denn maximal 20% – bei wohlwollender Lesart – dessen, was derzeit in der Medizin geschieht ist wirklich so gut untersucht und zweifellos wirksam, dass man dazu keine Forschung mehr braucht9. Wollen wir das? Wäre das vernünftig?

Nein, wäre es nicht. Warum nicht? Ganz einfach. Weil wir noch viele andere Erkenntnisquellen außer randomisierten Studien haben, und weil solche Studien nur einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit in den Blick nehmen. Auch andere Daten – Kohortenstudien, Einzelfälle, Erfahrungen, nicht-randomisierte Vergleiche, historische Vergleich – spielen bei unseren Bewertungen eine wichtige, wenn auch schwer formalisierbare Rolle, wie wir des Öfteren gezeigt haben10,11. Und mit einer komplexeren, nämlich Bayes’schen Analyse könnte man das formalisieren, wie wir an einem konkreten Beispiel, der ketogenen Diät, ebenfalls belegt haben12.

Die Polemik gegen die Homöopathie ist politischer Korrektheit geschuldet. Eine Minderheit von lauten Stimmen, die Definitionshoheit für sich beanspruchen, hat die politische Parole ausgegeben: Weg mit der Homöopathie, sie passt uns nicht in den Kram. Und pflichtschuldigst stimmen alle, die dazu gehören und modern sein wollen, in diesen Hymnus ein. Sachlich, das haben wir gesehen, ist das in keiner Weise gerechtfertigt. Aber es ist politisch opportun. Woraus man lernt: Das politisch Opportune und das sachlich Richtige sind zwei sehr verschiedene Paar Stiefel, so wie Realität und Wirklichkeit.

Referenzen

  1. National Health and Medical Research Council, International Center for Allied Health Evidence. The Effectiveness of Homeopathy: An Overview Review of Secondary Evidence – An Annotated Draft Report. Canberra, AU: National Health and Medical Research Council, 2019, orif. 2012.
  2. Szőke H, Maródi M, Sallay Z, Székely B, Sterner MG, Hegyi G. Integrative versus Conventional Therapy of Chronic Otitis Media with Effusion and Adenoid Hypertrophy in Children: A Prospective Observational Study. Complementary Medicine Research 2016; 23(4): 231-9.
  3. Grelotti DJ, Kaptchuk TJ. Placebo by proxy: Clinicians‘ and family members‘ feelings  and perceptions about a treatment may influence their judgments about its effectiveness. British Medical Journal 2011; 343: d4345.
  4. Costelloe C, Metcalfe C, Lovering A, Mant D, Hay AD. Effect of antibiotic prescribing in primary care on antimicrobial resistance in individual patients: systematic review and meta-analysis. BMJ 2010; 340: c2096
  5. Livanos AE, Greiner TU, Vangay P, et al. Antibiotic-mediated gut microbiome perturbation accelerates development of type 1 diabetes in mice. Nature Microbiology 2016; 1: 16140.
  6. Hviid A, Svanström H, Frisch M. Antibiotic use and inflammatory bowel disease in childhood. Gut 2011; 60: 49-54.
  7. Vickers AJ. Reducing systematic reviews to a cut and paste. Forschende Komplementärmedizin 2010; 17: 303-5.
  8. Bornhöft G, Matthiessen PF, editors. Homeopathy in Healthcare: Effectiveness, Appropriateness, Safety, Costs. Heidelberg: Springer; 2012.
  9. El Dib RP, Atallah AN, Andriolo RB. Mapping the Cochrane evidence for decision making in health care. Journal of Evaluation in Clinical Practice 2007; 13: 689-92.
  10. Walach H, Falkenberg T, Fonnebo V, Lewith G, Jonas W. Circular instead of hierarchical – Methodological principles for the evaluation of complex interventions. BMC Medical Research Methodology 2006; 6(29).
  11. Walach H, Loef M. Using a matrix-analytical approach to synthesizing evidence solved incompatibility problem in the hierarchy of evidence. Journal of Clinical Epidemiology 2015; 68: 1251-60.
  12. Klement RJ, Bandyopadhyay PS, Champ CE, Walach H. Application of Bayesian evidence synthesis to modelling the effect of ketogenic therapy on survival of high grade glioma patients. Theoretical Biology and Medical Modelling 2018; 15(12).
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Homöopathie und Depression

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Homöopathische Arzneien wirken mindestens so gut wie Antidepressiva und besser als Placebo

Harald Walach

Vorbemerkung und Einführung:

Pharmakologische Antidepressiva – das vorläufige Ergebnis eines Trauerspiels

Peter Gøtzsche, der ehemalige Leiter des Nordischen Cochrane Centers in Kopenhagen und auf Rang  1.849 der 100.000 meistzitierten wissenschaftlichen Autoren, hat die Psychiatrie mit seiner Brandschrift unter Druck gebracht1. Darin hat er argumentiert, die Psychiatrie insgesamt und die von ihr verwendeten Antidepressiva seien wissenschaftlich zweifelhaft, weil ihre positiven Wirkungen die potenziell schädlichen Wirkungen kaum aufwiegen würden, weil viel zu viel davon verordnet werden würden und weil die Studien, auf denen ihre Verordnung basiert, methodisch unsauber seien. Dafür hat er vor Kurzem die Quittung erhalten und ist von seiner Rolle innerhalb der Cochrane Collaboration entbunden worden und hat sogar seine Stelle verloren2. Dieses Beispiel zeigt: in diesem Gebiet sind die kommerziellen Interessen sehr mächtig und es ist nicht ungefährlich, die Mainstream-Meinung herauszufordern.

Das mache ich jetzt trotzdem, weil ich es ärgerlich finde, dass sich die Anti-Homöopathie-Lobby nun eines Grünenparteitags zu bemächtigen sucht, in krasser Unkenntnis der Datenlage. Ich nehme die Depressionstherapie als Beispiel, ein heiß umstrittenes Gebiet.

Angefangen hat der Disput um die Wirksamkeit der Antidepressiva schon in den 90er Jahren, eigentlich schon früher. Es sei daran erinnert: Das erste weit verbreitete Antidepressivum, Fluoxetin, mit dem Handelsnamen Prozac, ist nie als Antidepressivum entwickelt worden, sondern hatte wechselnde Schicksale als Appetitzügler, Schmerzmittel etc., bis es durch eine Bestechungsaktion eines mittlerweile abgesprungenen Pharmamanagers in Schweden auf den Markt kam und so durch die Hintertür auf den amerikanischen und dadurch auf den Weltmarkt3. Irving Kirsch wies als erster darauf hin, dass Antidepressiva nur wenig wirksamer seien als Placebo4. Die Analyse aller, auch der unpublizierten Studien zu den modernen Antidepressiva, den sog. selektiven Serotonin-Reuptake Inhibitoren (SSRIs), zeigte: Ihre Effektgröße ist vergleichsweise klein gegenüber Placebo, nämlich etwa eine Drittel Standardabweichung5 und damit eigentlich niedriger als die halbe Standardabweichung die NICE, die englische Agentur, die für die Bewertung von Gesundheitsmaßnahmen zuständig ist, fordert6. Eine neue Netzwerk-Metaanalyse, ein massives Unterfangen, das alle verfügbaren Studien miteinander in Beziehung setzt, hat nun versucht ein abschließendes Wort zu sprechen7, findet eine generelle Wirksamkeit gegenüber Placebo und immer noch die bescheidene Effektgröße von weniger als einem Drittel Standardabweichung (d = 0.3). Prompt wurde dieser Publikation durch eine Re-Analyse aus der ehemaligen Arbeitsgruppe von Gøtzsche  widersprochen, die der Studie handwerkliche Fehler und schlampige Analyse nachweist.8 Die Effekte sind kleiner, bei den unpublzierten Studien sogar winzig, die Verzerrungsmöglichkeit ist groß und die Verlässlichkeit der Befunde geringer als man denkt. Die größte je durchgeführte Studie zu Antidepressiva in der unkontrollierten Praxis, die STAR*D-Studie, zeigt nur geringe Effekte9 und eine Re-Analyse kommt zu dem Schluss, dass auch diese geringen Effekte nur dadurch zustande kommen, dass die Autoren sich nicht an ihr eigenes Protokoll gehalten und ihre Daten aufgehübscht haben10.

Ich referiere diese Geschichte absichtlich etwas ausführlicher um zu signalisieren: selbst in einem anscheinend so klaren Gebiet wie der pharmakologischen Antidepressionstherapie ist die Datenlage sehr verworren, trotz Milliarden von Forschungs- und Entwicklungsgeldern, trotz einem scheinbaren Konsens in der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der Gesundheitspolitik.

Nun wurden ausgerechnet in diesem Gebiet zwei interessante Homöopathiestudien publiziert: eine Studie von Macias-Cortés und Kollegen aus Mexiko11 und 6 Jahre davor eine Studie von Adler und Kollegen aus Brasilien12.

Homöopathische Therapie der Depression: 2 Beispiele

Macias-Cortés et al. (2015) Individualized Homeopathic Treatment and Fluoxetine for Moderate to Severe Depression in Peri- and Postmenopausal Women11

Die Studie von Macias-Cortés verglich homöopathische individualisierte Therapie, die in den Potenzen C30 oder C200 verabreicht wurde, in einer dreiarmigen Studie mit Fluoxetin (das unter dem Handelsnamen Prozac verbreitet ist) und mit Placebo in einer sog. double-dummy Technik. Das funktioniert so, dass jeder Patient zwei Medikationen erhält, von denen entweder eine oder beide ein Placebo sind, aber jedenfalls beide so aussehen wie das Original. Patienten der Placebo-Gruppe erhalten, verblindet natürlich, zwei Placebos, ein Fluoxetin-Placebo und ein Homöopathie-Placebo. Patienten der Homöopathie-Gruppe erhalten ein homöopathisches Arzneimittel und ein Fluoxetin-Placebo. Patienten der Fluoxetin-Gruppe erhalten ein echtes Fluoxetin und ein Homöopathie-Placebo. Alle Patienten und alle Forscher waren verblindet bezüglich des Inhaltes. Eingeschlossen wurden Frauen mit Depression in der Menopause. Alle 133 Patientinnen erhielten zunächst eine homöopathische Erstanamnese, woraufhin ein homöopathisches Arzneimittel verordnet wurde, das aber nur jenes Drittel der Patientinnen erhielten (insgesamt 44), die in die Homöopathiegruppe randomisiert, also per Zufall zugeteilt, wurden. Da sie zusätzlich das Fluoxetinplacebo erhielten, wussten sie natürlich nicht, dass sie in der Homöopathie-Gruppe waren. Die homöopathische Arznei wurde übrigens aufgelöst in eine Wasser-Alkohol-Lösung zur täglichen Einnahme aufbereitet und hat damit etwas Ähnlichkeit mit der Einnahme von Q- oder 50.000er-Potenzen, die in der Adler-Studie (siehe unten) zur Anwendung kamen. Dadurch nahmen alle Patienten der Homöopathiegruppe täglich entweder ein homöopathisches Arzneimittel oder ein Placebo zu sich. Das Arzneimittel konnte in der Potenz oder im Inhalt angepasst werden, falls sich Symptome verschlimmerten oder neue zeigten. Wer interessiert daran ist, kann in der Zusatztabelle der Online-Publikation die homöopathischen Arzneimittel nachschauen, die verabreicht wurden.

46 Patientinnen erhielten Fluoxetin plus das Homöopathie-Placebo und 43 Patientinnen erhielten zwei Placebos.

Die Studie war offenkundig gut geplant und ausgewertet: Alle Patientinnen, die in die Studie eingeschlossen waren, waren auch in der Auswertung. Das ist das sog. „intention-to-treat“ Prinzip. Dabei wird der robuste Effekt einer Intervention untersucht, weil die Patienten, die herausfallen, normalerweise mit ihren letzten Wert oder dessen Extrapolation in die Auswertung eingehen, was die Analyse konservativ macht. Als Hauptzielkriterium war definiert worden: die Verbesserung auf der Hamilton-Depression-Rating Skala. Das ist eine Fremdeinschätzung, bei der ein Psychiater oder Psychologe Symptome nach einem Interview einstuft. Die einstufende Person muss natürlich verblindet sein, was sie hier war. Oft wird dem Verfahren mangelnde Glaubwürdigkeit attestiert, weil manchmal die Gruppenzugehörigkeit aufgrund von Nebenwirkungen erraten werden kann. Das war in dieser Studie sicher nicht der Fall. Denn die Nebenwirkungen waren auf alle drei Gruppen gleich verteilt und manche „typische“ Nebenwirkungen waren sogar in der Placebo-Gruppe etwas häufiger, wie etwa Verstopfung, Magenprobleme und Erschöpfung. Damit kann also das Hauptzielkriterium als gültig gemessen gelten. Es gab zwei Nebenzielkriterien: die selbstberichtete Verbesserung auf der Beck Depression Skala und die Veränderung der Greene Klimakteriumsbeschwerden-Skala.

Gemessen wurde nach 4 und nach 6 Wochen. Im Hauptzielkriterium war die Homöopathiegruppe signifikant besser als Fluoxetin und besser als Placebo. Der Unterschied der Homöopathiegruppe zu Fluoxetin ist mit einer Effektgröße von d = 0.58 relativ groß und damit auch größer als der durchschnittliche Unterschied von Fluoxetin zu Placebo in den Meta-Analysen. Der Unterschied der Homöopathiegruppe zu Placebo ist ebenfalls signifikant und mit einer Effektgröße von d = 1.5 fast dreimal so groß wie der Unterschied zu Fluoxetin. In dieser Studie ist übrigens auch Fluoxetin mit einer Effektgröße von d = 0.89 Placebo signifikant überlegen. Das Nebenzielkriterium BDI zeigte zwar die gleiche Tendenz, aber die Unterschiede sind klein (d = 0.3 Homöopathie gegenüber Fluoxetin) und nicht signifikant. Der Unterschied in der Greene-Klimakteriumsbeschwerdenskala ist hingegen wieder signifikant, und zwar sowohl Homöopathie gegenüber Fluoxetin als auch gegen Placebo. Eine mehr als 50%ige Besserung in der Hamilton Rating Skala und damit ein deutlicher therapeutischer Effekt zeigte sich bei 54% der Patienten in der Homöopathie-Gruppe, bei 41% in der Fluoxetin-Gruppe und bei knapp 12% in der Placebo-Gruppe, was ebenfalls einen signifikanten Unterschied darstellt. In den Remissionsraten, also der vollständigen Besserung der Depression (definiert als weniger als 7 Punkte auf der 17-Punkte Skala) unterscheiden sich die beiden aktiven Gruppen kaum: 15,9% unter Homöopathie, 15,2% unter Fluoxetin, aber von Placebo, das eine Remissionsrate von 4,7% aufweist.

Die Studie ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert:

  1. Sie ist dreiarmig und zeigt einen klaren Effekt.
  2. Sie zeigt, dass individualisierte Homöopathie besser ist als Placebo und Fluoxetin.
  3. Sie hat klinisch relevante Effektstärken dokumentiert und zwar bei Patientinnen mit mittelschwerer bis schwerer Depression in der Menopause.
  4. Und das alles, obwohl sie methodisch, soweit ich sehen kann, auf hohem Niveau geplant und durchgeführt wurde und verblindet war.

Die Einschränkungen sollten nicht übersehen werden:

  1. Die Studie war mit 6 Wochen relativ kurz. Das hat den technischen Vorteil, dass sich eine natürliche Erholung in diesem kurzen Zeitraum nicht so leicht finden lässt, wodurch der klinisch-statistische Unterschied deutlicher wird.
  2. Die Studie hat mit Frauen, die im Klimakterium depressiv waren eine spezielle Patientinnengruppe untersucht.
  3. Sie ist trotz der guten Vergleichbarkeit in den Ausgangsparametern relativ klein und monozentrisch.

Dennoch scheint mir dieser Studie im Vergleich mit anderen Antidepressiva-Studien relativ gut zu sein und zeigt einen klaren Effekt individualisierter Homöopathie mit hohen Potenzen (C30 und C200), die in verdünnter Form täglich eingenommen wurden. Das ist ein Befunde, der nicht einfach ignoriert werden kann, solange nicht nachgewiesen wird, dass er durch Betrug oder Selbsttäuschung zustande kam, und das scheint nicht der Fall zu sein.

Adler et al (2009) Homeopathic individualized Q-potencies versus fluoxetine for moderate to severe depression: double-blind, randomized non-inferiority trial12

Die Studie von Adler und Kollegen aus Brasilien ist ein anderes Beispiel. Sie ist eine zwei-armige aktiv-kontrollierte Studie, in der individualisierte Therapie mit Fluoxetin verglichen wurde in einem sog. Non-Inferioritäts-Design. Während die Studie von Macías-Cortés ein Überlegenheitsdesign hatte, also statistisch daraufhin testete, ob Homöopathie besser als Placebo und besser als Fluoxetin ist, waren Adler und Kollegen bescheidener und testeten, ob Homöopathie Fluoxetin nicht unterlegen ist, also ungefähr gleich gut und auf keinen Fall schlechter. Solche aktiv kontrollierten Designs verwendet man häufig dann, wenn es bereits gut eingeführte Standards gibt – wie etwa in der pharmakologischen Depressionsbehandlung – und wenn eine Ethik-Kommission oder die Forscher Patienten nicht unnötigerweise einer Scheinbehandlung durch Placebo aussetzen wollen. Die Planung solcher Designs ist häufig zwei Hintergründen geschuldet: Manchmal fordern es Ethik-Kommissionen ein, manchmal machen Studienplaner das absichtlich, weil es einfacher ist Nicht-Unterlegenheit zu zeigen als Überlegenheit.

In dieser Studie wurden Patienten mit Depression, entweder einfacher oder wiederkehrender Depression, eingeschlossen und erhielten entweder individualisierte homöopathische Therapie mit Q-Potenzen oder Fluoxetin und das jeweils andere Placebo in einer double-dummy Technik, wie oben beschrieben, um die Verblindung aufrecht zu erhalten. Der Erfolg wurde wiederum über eine Rating-Skala durch einen verblindeten Kliniker gemessen, in diesem Falle war es die Montgomery-Asperger Rating Skala. Randomisiert wurden 91 Patienten, 48 in die Homöopathie- und 43 in die Fluoxetin-Gruppe. Beide Gruppen besserten sich deutlich über die 8 Wochen Studiendauer. In die statistische Analyse wurden wiederum alle Patienten eingeschlossen. In der Homöopathiegruppe brachen 19 Patienten die Studie ab, 3 aufgrund von Nebenwirkungen, 5 aufgrund klinischer Verschlimmerung (also kein therapeutischer Effekt), 10 kamen einfach nicht wieder. In der Fluoxetingruppe wurden 8 aufgrund von Verschlimmerungen und einer aufgrund mangelnder klinischer Effekte ausgeschlossen und 8 kamen nicht wieder. Das zeigt: in dieser Studie war offenbar das Monitoring der Patienten weniger sorgfältig und eng, sodass mehr Ausfälle zu verzeichnen sind. Da die Statistik sich aber auf alle Daten stützt und die fehlenden extrapoliert wurden, ist die Analyse zwar robust, weist aber dadurch wohl weniger Sensitivität auf. Die Analyse zeigt: Keine der Gruppen überschreitet die vorher definierte Indifferenzgrenze. Man überlegt bei solchen Designs vorher, was ein minimaler, klinisch relevanter Unterschied ist. Die Nicht-Unterlegenheit ist gezeigt, wenn das Vertrauensintervall des Unterschiedes zwischen den Therapien diesen klinisch-relevanten Unterschied nicht übersteigt. Das tut er nicht, und daher ist in dieser Studie Homöopathie nicht von Fluoxetin zu unterscheiden. Es gibt sogar eine kleine, positive Effektstärke zugunsten von Homöopathie (d = 0.4); aber weil unklar ist, ob die berichteten Daten die Daten aller Patienten sind oder nur die Daten von denen die abgeschlossen haben (was ich vermute), würde ich diesem Unterschied nicht so viel Gewicht beimessen wollen. Bei der statistischen Analyse kann man allerdings Robustheit annehmen, da hier die fehlenden Daten mit den Ausgangswerten interpoliert wurden.

In dieser Studie ist also individualisierte Homöopathie gleich gut wie Fluoxetin, tendenziell etwas besser, aber es war nicht Ziel der Studie, dies zu belegen. Interessant an dieser Studie war die Individualisierung und Behandlung ausschließlich mit Q-Potenzen. Das hat meines Wissens keine andere Studie gemacht. Q-Potenzen sind ja solche, bei denen von der C3 ausgehend alle weiteren Verdünnungsschritte in Schritten 1:50.000 – ungefähr – vorgenommen werden. Von dieser dann als Q1 bezeichneten Potenz wird jeweils weiter potenziert. Von jeder Q-Potenz wird dann wieder ein Kügelchen in Wasser aufgelöst und täglich ein kleiner Schluck genommen. In dieser Studie war das dreimal die Woche der Fall. Man versucht damit einen milden, kontinuierlichen Stimulus zu setzen und Erstverschlimmerungen zu vermeiden. Das scheint einigermaßen funktioniert zu haben. Die Studie war mit 8 Wochen etwas länger als die andere, war ebenfalls doppelt verblindet, allerdings sprechen die größere Zahl von Aussteigern dafür, dass entweder in der Studienlogistik manches nicht so gut funktioniert hat, oder dass überhaupt die Patientenführung nicht optimal war.

Fazit

Zwei Studien zeigen, verblindet und methodisch sauber, dass Homöopathie mindestens gleich gut (Adler), oder sogar besser (Macías-Cortés) als Fluoxetin, ein Standard-SSRI, gegen Depression hilft. Außerdem zeigt eine Studie, dass Homöopathie besser ist als Placebo. Man kann hier natürlich die üblichen Caveats anführen: Das sind erst zwei Studien, in Lateinamerika durchgeführt, die eine ausschließlich bei Frauen in der Menopause, und überhaupt brauchen wir mehr, größere und repräsentativere Studien. Ich weiß gar nicht, ob man sie so viel besser machen kann, als die, die hier vorliegen. Man kann vielleicht für weniger Drop-outs sorgen, länger beobachten, härtere Outcomes verwenden (Komplettremission statt kontinuierlicher Besserung). All das geht und all das sollte man tun. Aber bis diese Forderungen erfüllt sind kann man konstatieren:

Bei Depression ist klassische Homöopathie mindestens genauso gut wie Fluoxetin.

Referenzen:

  1. Gøtzsche PC. Deadly Psychiatry and Organised Denial. Copenhagen: People’s Press; 2015.
  2. Gøtzsche PC. Death of a Whistleblower and Cochrane’s Moral Collapse. Copenhagen: People’s Press; 2019.
  3. Virapen J. Side Effects: Death. College Station, TX: Virtualbookworm; 2010.
  4. Kirsch I, Sapirstein G. Listening to prozac but hearing placebo: A meta-analysis of antidepressant medication. Prevention & Treatment http://journalsapaorg/prevention 1998; 1: 2a.
  5. Turner EH, Matthews AM, Linardatos E, Tell RA, Rosenthal R. Selective publication of antidepressant trials and its influence on apparent efficacy. New England Journal of Medicine 2008; 358: 252-60.
  6. Kirsch I, Deacon BJ, Huedo-Medina TB, Scoboria A, Moore TJ, Johnson BT. Initial severity and antidepressant benefits: A meta-analysis of data submitted to the food and drug administration. PLoS Medicine 2008; 5(2): e45.
  7. Cipriani A, Furukawa TA, Salanti G, et al. Comparative efficacy and acceptability of 21 antidepressant drugs for the acute treatment of adults with major depressive disorder: a systematic review and network meta-analysis. The Lancet 2018; 391(10128): 1357-66.
  8. Munkholm K, Paludan-Müller AS, Boesen K. Considering the methodological limitations in the evidence base of antidepressants for depression: a reanalysis of a network meta-analysis. BMJ Open 2019; 9(6): e024886.
  9. Trivedi MH, Rush AJ, Wisniewski SR, et al. Evaluation of outcomes with citalopram for depression using measurement-based care in STAR*D: implications for clinical practice. American Journal of Psychiatry 2006; 163(1): 28-40.
  10. Pigott HE, Leventhal AM, Alter GS, Boren JJ. Efficacy and effectiveness of antidepressants: current status of research. Psychotherapy and Psychosomatics 2010; 79: 267-79.
  11. Macías-Cortés EdC, Llanes-González L, Aguilar-Faisal L, Asbun-Bojalil J. Individualized Homeopathic Treatment and Fluoxetine for Moderate to Severe Depression in Peri- and Postmenopausal Women (HOMDEP-MENOP Study): A Randomized, Double-Dummy, Double-Blind, Placebo-Controlled Trial. PLOS ONE 2015; 10(3): e0118440.
  12. Adler UC, Paiva NMP, Cesar AT, et al. Homeopathic individualized Q-potencies versus fluoxetine for moderate to severe depression: double-blind, randomized non-inferiority trial. eCAM 2009; doi:10.1093/ecam/nep114.
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