Tigermücke

Homöopathie und epidemische Erkrankungen (2)

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Teil 2 – Die Studienlage

Harald Walach

Die neue Sars-CoV-2 oder Covid-19 Pandemie zeigt uns, dass Epidemien von virulenten Erregern, meistens Viren, aber oft auch Bakterien, immer noch ein medizinisches Problem darstellen. Hatte 1948 der amerikanische Innenmister Marshall noch erklärt, die Welt hätte nun alle Mittel, um Infektionskrankheiten auszulöschen, so hat die Folgezeit alle eines besseren belehrt: Alte Krankheiten, die besiegt geglaubt waren, kommen zurück, neue entstehen und insgesamt sind wir weit davon entfernt, die Erreger im Griff zu haben [1].

Vielleicht müssen wir uns darauf besinnen, dass Erreger, Viren wie Bakterien, eine Art ökologischer Gemeinschaft mit uns bilden und dass es nicht ums Bekämpfen gehen kann, sondern ums Zurechtkommen: durch Stützung unseres Immunsystems und Immunität, zu der auch Impfungen beitragen.

Ganz abgesehen davon, dass wir um eine Zehnerpotenz mehr Bakterien im und auf dem Körper haben als wir Zellen besitzen. Diese sind für unser Wohlergehen essenziell, indem sie zum Beispiel Stoffwechselprozesse im Darm steuern [2]. Daher wird der Homöopathie auch in Zukunft eine wichtige Rolle zukommen. Denn sie bekämpft naturgemäß nicht Erreger, sondern hilft dem menschlichen Immunsystem, sich zu stabilisieren und gezielt zu reagieren. Wir haben im letzten Teil gesehen, wie die historische Entwicklung war und wollen hier einige neuere Studien besprechen.

Homöopathie bei Sepsis

In Europa sind Studien zu akuten Infektionen in der neueren Zeit rar. Denn mit dem Aufkommen von Impfungen und antibakterieller Therapie ist der therapeutische Druck verschwunden, der noch Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte. Außerdem ist durch die Verbesserung der hygienischen Verhältnisse und der Ernährungslage die Bedrohung lange nicht mehr so groß wie zu den Zeiten der großen Epidemien im 19. Jahrhundert.

Eine Ausnahme stellt die Studie von Michael Frass und Kollegen dar, die homöopathische Therapie bei akuter Sepsis untersuchten [3]. Das ist deswegen für unseren Zusammenhang von Bedeutung, weil Sepsis ja eine der gefürchteten Folgen einer bakteriellen Infektion ist. Sie tritt meist dann auf, wenn das Immunsystem mit dem Erreger nicht fertig wird. Die konventionelle Behandlung stößt dann auch an ihre Grenzen und ist nur noch stützend. Nicht selten sind resistente Keime die Ursache, gegen die kein Antibiotikum mehr hilft. Sie entstehen, weil Bakterien Resistenzgene besitzen, die sie unter dem Druck antibiotischer Therapie aktivieren, untereinander austauschen können und weil Bakterien sich so schnell replizieren, dass immer noch ein Stamm, der dann resistent ist, übrigbleibt und sich weiter vermehren kann. [1, 4]

Sepsis-Studie am Wiener Allgemeinen Krankhaus

In der Studie am Wiener Allgemeinen Krankhaus wurden 70 Sepsis-Patienten, die in die Intensivstation kamen, zusätzlich zu der üblichen konventionellen Therapie (incl. Antibiotika in beiden Gruppen) entweder mit homöopathischer Therapie nach Arzneimittelwahl des Arztes versorgt oder mit einem Placebo. Die homöopathische Therapie erfolgte natürlich verblindet in der Potenz C200 zweimal am Tag, solange, bis der Patient aus der Intensivstation entlassen wurde oder verstarb. Gemessen wurde die Überlebensrate nach 180 Tagen. Drei Patienten, zwei unter Homöopathie und einer unter Placebo, wurden nicht ausgewertet, weil die Daten nicht vollständig waren. Diese Patienten überlebten. Von den restlichen 33 Homöopathie-Patienten waren nach 180 Tagen noch 25 am Leben, von den 34 Placebo-Patienten noch 17. Dieser Unterschied von 76% vs. 50% ist statistisch signifikant, gerechnet mit einem robusten Test.

Die Studie zeigt, dass Homöopathie offenbar auch heute noch eine wirksame Therapie bei Infektionen sein kann. Interessant an dieser Studie ist die Tatsache, dass die homöopathischen Arzneimittel frei wählbar waren, dass sie in einer hohen Potenz verabreicht wurden und später nichts mehr weiter unternommen wurde. Damit war in dieser relativ langen Beobachtungszeit ein deutlicher Effekt zu sehen, der auf die kurze akute Therapie zurückzuführen ist.

Homöopathie in Indien – Japanische Enzephalitis Epidemien

Anders ist die Situation in den ärmeren Ländern. In Indien spielt die Homöopathie auch bei Infektionskrankheiten noch eine Rolle, vor allem bei viralen Infekten, gegen die konventionell wenig therapeutische Möglichkeiten existieren. Auch in Indien war der Erfolg bei den Cholera-Epidemien im späten 19. Jahrhundert einer der Gründe, der dort zur Akzeptanz der Homöopathie führte. Seither gehört die Homöopathie zusammen mit den traditionell in Indien ansässigen Therapieverfahren zum Gesundheitssystem.

Daher hat die Indische Regierung 1991 das Central Council of Research in Homeopathy (CCRH) um Hilfe gebeten, als wieder eine Epidemie von Japanischer Enzephalitis im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh ausbrach [7]. Diese Enzephalitis wird von einem Flavivirus übertragen, einer Gruppe von Erregern, die auch für das berüchtigte Dengue-Fieber verantwortlich ist. In Südostasien kommt dieses Virus häufig vor und wird von Stechmücken übertragen. In Indien tauchten Epidemien regelmäßig auf mit Sterberaten bei den infizierten Kranken um 30% bis 45%, manchmal bis 60%.

In dem vorliegenden Bericht wurde für die laufende Epidemie eine Mortalitätsrate von 21% ermittelt. Anhand der Symptome von 239 hospitalisierten Fällen wurde das epidemische Arzneimittelbild ermittelt, das in diesem Falle Belladonna als das Arzneimittel mit der besten Passung ergab. Das ist, wie wir im letzten Beitrag gesehen haben, die Gesamtheit der Symptome einer epidemischen Erkrankung über alle Personen hinweg, wie Hahnemann das in den §§100-102 seines Organons beschrieben hatte. Mit dieser Arznei in C200 Potenz wurden dann 322.812 Personen präventiv behandelt, die in Dörfern lebten, die am schlimmsten von der Epidemie betroffen waren. Das Follow-up wurde leider nur bei etwa 10% oder 39.250 Personen durchgeführt. Von diesen erkrankte niemand ernsthaft, nur 14 Personen hatten angeblich leichte Symptome, die nach ein paar Tagen wieder verschwanden.

Dies ist nun wahrhaftig kein sonderlich robuster Datensatz. Aber er zeigt, dass die prophylaktische Verwendung, die schon Hahnemann in seinem Organon beschrieben hat – siehe der letzte Beitrag dieser Serie – immer noch von Bedeutung ist und offenbar funktionieren kann, wenn das epidemische Bild sehr klar ist.

Eine neuere Übersicht zeigt, dass diese Ansätze auch heute noch in Indien mit Erfolg durchgeführt werden. Homöopathische Therapie zusammen mit konventionellem Management von akut erkrankten Patienten mit Japanischer Enzephalitis zeigte eine Verringerung von Morbidität und Mortalität um 31% [8].

Dengue-Fieber

Dengue-Fieber wird von der gleichen Virusgruppe übertragen, ebenfalls über Moskito-Stiche. Es gehört zu den Fieber-Erkrankungen, die schwere Komplikationen wie Schock und innere Blutungen auslösen können. Es gibt zwar einen Impfstoff. Aber der ist nicht überall zugelassen und auch nicht überall vorrätig.

Auch bei dieser Erkrankung gab es einige dokumentierte homöopathische Therapie- bzw. Präventionsstudien. Eine der wenigen vergleichenden Therapiestudien führten pakistanische Forscher mit einer kleinen Gruppe von Patienten mit Dengue-Fieber durch [9]. Sie verwendeten eine homöopathische Kombinationsarznei, die diejenigen Arzneimittel in C30 enthielten, die zu dem Symptomenbild von Dengue-Fieber passen: Eupatorium, Rhus toxicodendron, Aconitum, Gelsemium, Bryonia, China, Crotalus horridus, Colocynthis, Phosphor.

Diese Intervention wurde mit dem konventionellen Behandlungsprotokoll allein verglichen, das selbstverständlich auch die Patienten der Homöopathie-Gruppe erhielten. Die Studie war mit 50 Patienten sehr klein und es ist nicht klar, wie die Gruppenverteilung durchgeführt wurde. Gemessen wurden drei objektive Kriterien, die Anzahl der Blutplättchen, die Anzahl der weißen Blutkörperchen und der Hämatokritwert, die den Verlauf des Fiebers markieren und z.B. problematische Entwicklungen wie innere Blutungen signalisieren. Die Werte verbesserten sich in beiden Gruppen, aber in der homöopathisch behandelten Gruppe signifikant stärker.

Prophylaktische Behandlung in Brasilien

In Brasilien wurden zwei Studien zu prophylaktischer Behandlung bzw. Therapie von Dengue-Fieber publiziert. In der ersten Studie [10] wurde ein Kombinationsarzneimittel in einem Bezirk von Rio de Janeiro verwendet, das die wichtigsten Symptome abdeckte. Es bestand aus Eupatorium perfoliatum, Phosphor und Crotalus horridus, alle in der C30. Eupatorium trifft dabei vor allem die akute erste Phase mit Gliederschmerzen, die sich anfühlen wie zerschlagen, Fieber, Müdigkeit und der Schwierigkeit zu atmen. Phosphor ist in einen späteren Zustand passend, wenn Blutungen und Lungenprobleme auftauchen und Crotalus horridus, das aus dem Gift der Klapperschlange gewonnen wird, trifft den Zustand des Schocks und der schweren inneren Blutung, weil sich die Gerinnungsfähigkeit des Blutes verändert.

Mit diesem Arzneimittel wurden 129 symptomatische Patienten behandelt, die innerhalb von 5 Tagen genasen und von denen keiner starb. Normalerweise ist die Rekonvaleszenz 8 Tage und Todesfälle sind keine Seltenheit. Außerdem wurde es prophylaktisch an 156.000 Einwohner des auf 180.000 Einwohner geschätzten Bezirkes verteilt. Die Erkrankungszahlen wurden mit denen früherer Jahre und angrenzender Bezirke verglichen. Sie waren deutlich niedriger.

Während diese Studie methodisch nicht sonderlich eindeutig ist, ist die zweite klarer in ihren Vergleichen [11]. Hier wurde, ebenfalls prophylaktisch gegen Dengue-Fieber, Eupatorium C30 an 2000 Bewohner und damit 40% eines Bezirkes von São Paulo mit 4850 Einwohnern ausgegeben. Allerdings wurden die Erkrankungszahlen hier mit Hilfe eines Registers mit den Zahlen der umliegenden Distrikte verglichen und eine Rückgangsfaktor-Berechnung gemacht. Dabei wird die Anzahl der Fälle, die zu den Hochzeiten der Infektion gemessen wurden, mit denen danach verglichen und der prozentuale Rückgang berechnet. Während die Fallzahlen im behandelten Bezirk um 81% sanken, waren das in den angrenzenden Bezirken nur 10% bis 48%, was den Rückgangsfaktor im behandelten Bezirk statistisch deutlich grösser macht. Interessant daran scheint mir zu sein, dass dies trotz der nicht vollständigen Behandlung funktioniert hat.

Leptospirose in Cuba

Eine letzte Studie dieser Art stammt aus Cuba und verfolgte einen anderen Ansatz [12]. In Cuba, wie in anderen tropischen Ländern auch, spielt die Leptospirose als Infektionskrankheit eine große Rolle. Sie kann schwere Enzephalitis, Lungenentzündung und Sepsis auslösen. Verursachend dabei ist ein Bakterium, eine Spirochäte, also die Gruppe von Bakterien die auch für Syphilis oder Borreliose verantwortlich ist. Es kommt dort, ohne Symptome zu verursachen, in Wirtstieren wie etwa Hunden, Pferden, Mäusen und Ratten vor.

Wenn es sehr feucht ist und überall viel Wasser herumsteht, können sich die Spirochäten aus dem Urin der Tiere dort im Wasser halten und Menschen über Wunden oder Schleimhautkontakt infizieren. Es gibt an sich in Cuba und anderswo eine Impfung gegen diese Krankheit. Aber zum einen ist sie nur in 78% der Fälle wirksam und zum anderen war es in Cuba offenbar nicht möglich, diese Impfung allen angedeihen zu lassen. Auch Chemoprophylaxe mit Antibiotika ist möglich, aber durch die kurze Halbwertszeit der Antibiotika muss diese relativ lang durchgeführt werden und auch das war offenbar zu dieser Zeit in Cuba nicht möglich.

Ein riesiges nationales Experiment

So wurde in dieser Studie von einem riesigen nationalen Experiment berichtet, weil im Jahr 2007 durch Tornados und Regenfälle die Lage rasch eskalierte. Der östliche Landesteil mit 2.5 Millionen Einwohnern wurde zur Interventionsgegend erklärt, der westliche Landesteil mit etwas mehr als 8.8 Mio Einwohnern war die Vergleichsgegend, in der nichts passierte. Etwa 3% der Menschen in der Interventionsgegend erhielten Impfung und Chemoprophylaxe. Alle erhielten eine homöopathische Prophylaxe.

In diesem Fall bestand sie aus einer sog. Nosode aus verschiedenen Leptospirochäten. Nosoden sind Arzneimittel, bei denen entweder die Erreger selber oder Krankheitsmaterial von Patienten potenziert werden. In dieser speziellen Arznei waren es vier verschiedene Spirochätenstämme, die als ursächlich in Frage kommen. Sie wurden inaktiviert und potenziert. Die Betroffenen erhielten im Abstand von 7-9 Tagen zwei Dosen des Arzneimittels in der C200 und danach zwei Dosen der Potenz C10.000 als präventive Gabe.

Das Interessante an dieser Studie ist, dass es in Cuba zwar offenbar zu wenig Geld für Impfungen, dafür aber ein sehr gut funktionierendes System der Gesundheitsdokumentation gibt. Denn die Fälle in den verschiedenen Landesteilen wurden akribisch aufgezeichnet und so konnte auch eine gute statistische Modellierung durchgeführt werden. Sie zeigt, dass in der Interventionsregion die Anzahl der Fälle 2008 nur 16% von denen im Jahr 2007 im vergleichbaren Zeitraum ausmachte, während sie in der Vergleichsregion auf 122% verglichen mit dem Vorjahr angestiegen ist. Die Zeitreihenmodellierung zeigt einen klar gebrochenen Zeittrend des Anstieges. War das nun Folge der 3% der Bevölkerung, die geimpft waren? Vermutlich reicht das nicht, um den Rückgang zu erklären. Denn die Fallzahlen waren in den durchgeimpften Dörfern trotzdem hochgegangen.

Ein solches nationales Experiment wäre klarerweise in unseren politischen Systemen völlig undenkbar. Daher ist es auch ein einmaliger Datensatz, der zeigt, dass man mit potenzierten Substanzen Prophylaxe betreiben kann. Allerdings lehrt die homöopathische Praxis, dass man mit der Anwendung von Nosoden vorsichtig sein muss. Wenn man sie bei bereits Erkrankten verwendet, kann der Schuss nach hinten losgehen und die Krankheit sich verschlimmern. Daher ist der klassische Ansatz immer noch der, mit dem epidemisch indizierten Arzneimittel, oder vielleicht auch einer Kombination von diesen zu arbeiten.

Fazit: Relevanz für Covid-19

Das könnte unter Umständen auch in der jetzigen Situation von Bedeutung sein. Das epidemisch relevante Arzneimittel für die Covid-19-Pandemie ist noch nicht klar. Dazu ist die Zeit noch zu kurz. Derzeit laufen einige Dokumentationsprojekte, über die wir im nächsten Teil berichten, sobald wir Daten haben. Offenbar spielen auch bei dieser Epidemie die homöopathischen Infektionsklassiker – Gelsemium, Bryonia, Phosphor, Eupatorium, vielleicht Lobelia purp. und im Iran Camphora – eine Rolle. Aber das werden wir sehen.

Wenn Sie als Arzt bereits Fälle gesehen und behandelt haben, können sie diese gerne mitteilen an

blog-wissenschaftskommunikation@wisshom.de

Wir reichen die Fallbeschreibung dann an ein Team von Ärzten weiter, die sich mit der Ermittlung des Genius epidemicus befassen.

Das wären die wichtigen Informationen, die man benötigen würde:

Wie viele Fälle? – Sind sie durch Test bestätigt oder ist die Diagnose klinisch? – Was waren die genauen Symptome (und Modalitäten)? – In welcher Reihenfolge sind sie aufgetreten? – Wurde behandelt? – Mit welchem Mittel / welchen Mitteln? – Ggf. andere zusätzliche Behandlungen? – Behandlungsergebnis? – Innerhalb welcher Zeit trat ggf. eine deutliche Besserung ein?

Aber bitte seien Sie vorsichtig:

Die ambulante Behandlung von COVID-19 Patienten birgt die Gefahr der unerkannten manchmal rasch auftretenden Atemnot. Da ist erhöhte Wachsamkeit gefordert, zumal viele Behandlungen telefonisch stattfinden werden. Bitte zögern Sie ggf. auch nicht mit der Krankenhaus-Einweisung! Selbstverständlich müssen die Schutz- und Quarantänemaßnahmen beachtet werden.  Mit der häufig empfohlenen Einnahme von Antipyretika und der so genannten „Grippemittel“ sollten die Patienten allerdings eher zurückhaltend sein! – Die Senkung von Fieber ist nicht unbedingt abwehrsteigernd.

Referenzen

  1. Snowden, F.M., Emerging and reemerging diseases: a historical perspective. Immunological Reviews, 2008. 225(1): p. 9-26.
  2. Komaroff, A.L., The microbiome and risk for obesity and diabetes. JAMA, 2017. 317(4): p. 355-356.
  3. Frass, M., et al., Adjunctive homeopathic treatment in patients with severe sepsis: a randomized, double-blind placebo-controlled trial in an intensive care unit. Homeopathy, 2005. 94: p. 75-80.
  4. European Centre for Disease Prevention and Control, Antimicrobial Resistance Surveillance in Europe 2016. Annual Report of the European Antimicrobial Resistance Surveillance Network (EARS-Net). 2017, ECDC: Stockholm.
  5. Little, P., et al., Presentation, pattern, and natural course of severe symptoms, and role of antibiotics and antibiotic resistance among patients presenting with suspected uncomplicated urinary tract infection in primary care: observational study. British Medical Journal, 2010. 340: p. b5633.
  6. Geffers, C. and P. Gastmeier, Nosokomiale Infektionen und multiresistente Erreger in Deutschland: Epidemiologische Daten aus dem Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System. Deutsches Ärzteblatt, 2011. 108(6): p. 87-93.
  7. Rastogi, D.P. and V.D. Sharma, Study of Homoeopathic Drugs in Encephalitis Epidemic (1991) in Uttar Pradesh. Central Council for Research in Homoeopathy Quarterly Bulletin, 1992. 14(3&4): p. 1-11.
  8. Sengupta, M., et al., Homoeopathic treatment of Japanese encephalitis in the light of recent scientific progress. International Journla of Recent Advances in Multidisciplinary Research, 2018. 5(7): p. 3991-3996.
  9. Saeed-ul-Hassan, S., et al., Comparative clinical study on the effectiveness of homeopatic combination remedy with standard maintenance therapy for dengue fever. Tropical Journal of Pharmaceutical Research, 2013. 12(5): p. 767-770.
  10. de Souza Nunes, L.A., Contribution of homeopathy to the control of an outbreak of dengue in Macaé, Rio de Janeiro. International Journal of High Diluation Research, 2008. 7(25): p. 186-192.
  11. Marino, R., Homeopathy and collective health: The case of dengue epidemics. International Journal of High Diluation Research, 2008. 7(25): p. 179-185.
  12. Bracho, G., et al., Large-scale application of highly-diluted bacteria for Leptospirosis epidemic control. Homeopathy, 2010. 99(3): p. 156-166.
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Homöopathie und epidemische Erkrankungen (1)

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Teil 1 – Die Geschichte

Harald Walach

Viele meinen, Homöopathie hätte nur einen Platz in der Behandlung einfacher oder funktioneller und chronischer Erkrankungen. Blickt man in die Geschichte, dann sieht man, dass die Homöopathie vor allem durch die Behandlung der epidemischen Erkrankungen bekannt und erfolgreich wurde und auch manchmal prophylaktisch angewandt werden kann.

Belladonna und Scharlach bei Hahnemann

Bereits Hahnemann beschreibt in seinem Organon [1, Anm. 64 zu §33, S. 180], dass er in Königslutter im Jahre 1801 allen Kindern eine kleine Gabe Belladonna gegeben habe und beobachtet habe, dass sie so vom grassierenden Scharlachfieber frei blieben. Weil das Arzneimittelbild von Belladonna – der heiße rote Kopf, das meistens am Abend oder späten Nachmittag rasch einsetzende hoher Fieber, oft auch gerötete Haut und manchmal deliröse Zustände – relativ gut auf die Symptomatik von klassischem Scharlach passt, war diese Anwendung aus Hahnemanns Sicht auch arzneimitteltypisch. Daher finden sich bei den Indikationen für Belladonna in den homöopathischen Arzneimittellehren typischerweise Scharlach und ähnliche Fiebererkrankungen [2, 3]. Haehl schreibt dazu in seiner Hahnemann-Biografie, dass die Prävention mit Belladonna doch so erfolgreich war, dass die preußischen Behörden auch noch bei einer späteren Scharlach-Epidemie auf diese Prophylaxe zurückgriffen. [4]

Erfolge bei Epidemien verschafften der Homöopathie Beachtung

Ursprünglich waren es vor allem die Erfolge der Homöopathie bei der Bekämpfung der großen Epidemien des 19. Jahrhunderts, die der Homöopathie Beachtung, Einfluss und schließlich Akzeptanz verschafften. In Österreich, Russland und in England waren es die Erfolge bei der Behandlung der Cholera-Epidemie, die die Homöopathie dort Fuß fassen ließen. In Österreich war die Homöopathie 1819 verboten. Trotzdem ließen sich manche behandeln, vor allem Adelige, aber auch andere. Der Erfolg führte zur Aufhebung und des Verbots und zur Verbreitung der Homöopathie.

Denn während normalerweise zwischen 60 und 70% starben – Zahlen für unbehandelte Verläufe in Russland sprechen von 67% und unter konventioneller Behandlung waren diese eher höher – starben unter homöopathischer Behandlung 4-11% der Patienten [5, 6]. Auch in England lagen 1854 die Sterblichkeitsziffern unter homöopathischer Behandlung weit unter 20% und waren damit deutlich niedriger als unter konventioneller Behandlung [7].

Die gefährliche konventionelle Behandlung

Woran lag das? Die skeptische Sicht lautet: Weil konventionelle Behandlung gefährlich war und die Homöopathen all die konventionellen Behandlungen ablehnten. Die konventionelle Behandlung bestand im Aderlass und in der Verweigerung des Wassers, weil man die Krankheit „austrocknen“ wollte. Die Homöopathen hingegen gaben den Kranken Wasser ad libitum und verhinderten so die tödliche Dehydrierung und unterließen den schwächenden Aderlass. Dazu gaben sie auch noch ein paar Arzneimittel, meistens Campher und Arsenicum album.

Ob diese Arzneimittel wirklich so effizient waren, weiß man nicht. Denn ein neuerer Versuch in Peru, der diese ursprüngliche Behandlung überprüfen wollte, zeigte keinen Unterschied zwischen Homöopathie und Placebo [8], nachdem eine Pilotstudie vielversprechend war [9]. Im Moment ist also mindestens was die Cholera-Behandlung angeht unklar, ob die homöopathischen Kügelchen zum Durchbruch geführt hatten oder die Vermeidung schädlicher Maßnahmen.

Manches an der homöopathischen Behandlungsweise war hilfreich

Allerdings gibt es auch historische Daten zu anderen Infektionsepidemien, die anhand der Akten des homöopathischen Krankenhauses in London zeigen, dass die homöopathische Behandlung von epidemischen Erkrankungen wie etwa Diphterie oder Tuberkulose erfolgreicher war als in den konventionellen Krankenhäusern [10].

Daher kann man vermuten, dass manches an der homöopathischen Behandlungsweise hilfreich war. Diese frühen Behandlungen fanden ja zu Zeiten statt, als oft nur vermutet wurde, dass Bakterien die Erreger sind. Der Nachweis dazu gelang erst Koch in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts [11].

Da für virale Krankheiten auch heute noch oft keine gute Behandlungsmöglichkeit existiert und gegen Bakterien erst in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts Antibiotika verfügbar wurden, blieb die Homöopathie lange Zeit eine wichtige therapeutische Möglichkeit. Vor allem bevor es Impfungen für die gefährlichsten epidemischen Erkrankungen gab.

Die „Spanische Grippe“

Für die große Grippe-Epidemie im Jahre 1918, die weltweit wohl etwas über 20 Millionen Todesopfer forderte, gibt es nur wenig gute Daten. Eine Statistik, die der amerikanische Professor für Materia-Medica, Dewey, zusammengestellt hat, zeigt, dass die Sterblichkeitsrate bei Patienten, die von Homöopathen behandelt wurden, relativ niedrig waren. Eine Studie in Ohio an 24.000 Patienten, die konventionell versorgt wurden, ergab eine Sterblichkeit von 28%. Die Mortalitätsrate der homöopathisch versorgten Patienten lag je nach Region zwischen 0,01 und 1,05%. [nach 12]

Damals, wie schon zu Hahnemanns Zeiten, wurde die Verordnung nach dem sog. „genius epidemicus“, nach dem epidemischen Zustandsbild vorgenommen. Dieses Prinzip beschreibt Hahnemann in den §§100-102 seines Organons [1]. Normalerweise wird ja in der Homöopathie das Prinzip angewandt, dass das Arzneimittel passend zu den individuellen Symptomen gewählt wird.

Epidemisches Zustandsbild in den USA und Europa unterschiedlich

Im Falle einer epidemischen Erkrankung geht man jedoch davon aus, dass das typische Arzneimittelbild vom Typ der jeweiligen Epidemie bestimmt wird. Dieses Bild zeigt sich, wenn man mehrere Kranke, die an der gleichen epidemischen Erkrankung leiden, vergleicht. Bei der großen Influenza-Epidemie von 1918 war das in den USA in den Anfangsphasen Erkrankung fast ausschließlich das Bild von Gelsemium, in späteren Phasen, wenn etwa die Lunge betroffen war, kamen dann manchmal noch Phosphor oder Bryonia hinzu. Gelsemium zeichnet sich aus durch dunkelrote Gesichtsfarbe, starke Kopfschmerzen, manchmal auch Schmerzen hinter den Augen, Halsschmerzen beim Schlucken, oft auch Schwindeligkeit und große Müdigkeit. Das waren offenbar bei dieser Epidemie die zentralen Symptome und daher half Gelsemium sehr gut [12].

Ein Bericht eines schwedischen Arztes zeigt, dass dieses Symptomenbild in Europa offenbar etwas anders war. Er berichtet über die Verwendung von Aconit und Belladonna, Bryonia, Rhus toxicodendron, Ipecacuanha und Phosphor. Aber auch er schließt mit der Beobachtung, dass unter seiner homöopathischen Behandlung niemand an Lungenentzündung gestorben sei, sehr wohl aber im Umfeld unter anderen Behandlungen [13]. Sjögren berichtet auch darüber, dass er manchmal zwei Arzneimittel im Wechsel verwendete, was bei manchen akuten Verordnungen auch heute noch gemacht wird.

Wie konnte Homöopathie bei akuten Infektionen wirken?

Wenn wir in die Geschichte blicken sehen wir also: Homöopathie hatte immer schon einen wichtigen Stellenwert in der Behandlung infektiöser, akuter Erkrankungen. Darin war sie erfolgreich und so hat sie eigentlich auch ihren Ruf begründet. Aber wie konnte das wirken? Doch sicher nicht durch eine direkte antibiotische oder antivirale Aktivität?

Da wir keine gute Theorie der Homöopathie haben, wissen wir es natürlich nicht. Aber es ist zu vermuten, dass der Effekt vor allem daher kommt, dass die homöopathische Behandlung das Immunsystem stimuliert und ihm hilft, die entsprechenden Reaktionen schneller oder effizienter zu lancieren, oder vielleicht auch die Entzündung rechtzeitig zu begrenzen, so dass der Erreger vom Immunsystem eliminiert wird, ohne dass die begleitenden Entzündungsreaktionen den Organismus zu sehr belasten. [14] Die Anhänger der Placebo-Theorie der Homöopathie [15] können ja überlegen, ob ein Placebo-Modell – also Beruhigung, Entspannung, positive Erwartungen – ausreichend sind, um den Erfolg einer Therapie im akuten Infektionsfall zu erklären  

Die Rolle der Homöopathie bei akuten Infektionen heute

Daher dürfte Homöopathie auch heute noch in der Therapie akuter Infektionen eine Rolle spielen, vor allem dort, wo eine konventionelle Behandlung durch antibakterielle oder antivirale Arzneimittel nicht möglich ist, entweder weil es sie nicht gibt oder weil sie nicht (mehr) gut wirkt, z.B. wegen Resistenzbildung, oder weil wir, wie heutzutage mit dem neuartigen Corona-Virus, noch keine Behandlung oder gar eine Impfung zur Verfügung haben.

Eine andere Rolle für die Homöopathie bei der Behandlung von Infektionskrankheiten könnte etwa auch in den tropischen Ländern zu finden sein, wo sich verschiedene virale Erkrankungen durch Insekten verbreiten, für die es keine guten Behandlungsmöglichkeiten gibt. Aber auch in unseren Breiten gibt es immer wieder Bedarf. Denn auch wenn antibiotische Behandlungen bei bakteriellen Erkrankungen gut helfen, so besteht doch die Gefahr, dass Infekte immer wieder kommen, dass Kinder anfälliger dafür werden, weil die Darmsymbiose gestört wird und vor allem, weil bei kleinen Kindern die meisten Infekte viraler Natur sind.

Oft sind es harmlose Rhino- oder bekannte Corona-Viren, gegen die man wenig machen kann. Jedenfalls wissen wir, dass bei Kindern antibiotische Behandlung von Atemwegsinfekten und Harnwegsinfekten langfristig relativ wenig fruchten [16, 17] und dass antibiotische Behandlung mit anderen Problemen, wie späteren entzündlichen Darmerkrankungen assoziiert sind [18].

Umgekehrt zeigen manche Studien, dass homöopathische oder anthroposophische Therapien verglichen mit Antibiotika gut abschneiden, manchmal sogar besser sind [19-23]. Dieses Feld gehört sorgfältig durch pragmatische randomisierte Studien untersucht. Denn im Moment gibt es dazu nur sehr wenig gute Daten, die keine endgültigen Schlüsse zulassen [24].

Fazit

Wir sehen an der Geschichte und an der momentanen Praxiserfahrung: Homöopathie hat bei akuten Infekten, auch bei schweren, durchaus einen Platz, wenn es keine konventionellen Optionen gibt oder wenn diese aus anderen Gründen nicht angesagt sind. Wie sich homöopathische Therapie von Infekten und eine mögliche Prophylaxe in neueren Studien darstellt, besprechen wir im nächsten Teil dieser Serie. Möglicherweise gibt es bald auch ein paar Erfahrungen mit der neuen Covid-19 Epidemie, die wir dann im dritten Teil beschreiben.

Referenzen

  1. Hahnemann, S., Organon der Heilkunst. (6. Aufl., Nachdruck herausgegeben von R. Haehl). 1979, orig. 1921, Stuttgart: Hippokrates.
  2. Mezger, J., Gesichtete homöopathische Arzneimittellehre. 1977, Heidelberg: Haug.
  3. Charette, G., Homöopathische Arzneimittellehre für die Praxis. 4. Aufl. ed. 1985, Stuttgart: Hippokrates.
  4. Haehl, R., Samuel Hahnemann. Sein Leben und Schaffen. (2 Bde.). 1922, Leipzig: Dr. Wilmar Schwabe. I. Band: p 68-69
  5. Scheible, K.-F., Hahnemann und die Cholera. Geschichtliche Betrachtung und kritische Wertung der homöopathischen Therapie im Vergleich zur konventionellen Behandlung. 1994, Heidelberg: Haug.
  6. Glaz, V.G., Hahnemann`s theory in Russia. British Homoeopathic Journal, 1991. 80: p. 231-233.
  7. Leary, B., Cholera 1854: update. British Homoeopathic Journal, 1994. 83: p. 117-121.
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  9. Gaucher, C., et al., Cholera and homoeopathic medicine. The peruvian experience. British Homoeopathic Journal, 1993. 82: p. 155-163.
  10. Leary, B., The homoeopathic treatment of specific diseases 1889-1923. British Homoeopathic Journal, 1995. 84: p. 117-123.
  11. Evans, A.S., Pettenkofer revisited: The life and contributions of Max von Pettenkofer (1818-1902). Yale Journal of Biology and Medicine, 1973. 46: p. 161-176.
  12. Marino, R., Flu pandemics: homeopathic prophylaxis and definition of the epidemic genius. Indian Journal of Research in Homoeopathy, 2012. 6(1 & 2): p. 47-52.
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Arnica C30 und Bellis C30 nach Brust-Operation

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Lotan, A. M., Gronovich, Y., Lysy, I., Binenboym, R., Eizenman, N., Stuchiner, B., . . . Oberbaum, M. (2020). Arnica montana and Bellis perennis for seroma reduction following mastectomy and immediate breast reconstruction: randomized, double-blind, placebo- controlled trial.

European Journal of Plastic Surgery. doi:10.1007/s00238-019-01618-7

Arnica C30 und Bellis C30 verkürzen die Drainagezeit nach einer Brust-Operation

Harald Walach

Vorbemerkungen

Eine neue placebo-kontrollierte Studie hat zum ersten Mal untersucht, ob die beiden homöopathischen Medikamente Arnica montana und Bellis perennis in einer Potenz C30 nach einer Brust-Amputation und -Rekonstruktion bei Patientinnen mit Brustkrebs die Drainage-Zeit wirksam verkürzen können.

Nach einer Brustoperation bei Krebspatientinnen muss die Wunde nämlich eine Weile mit einem Drainage-Schlauch versorgt werden, der das Serum nach außen leitet. Denn die Lymphgefäße müssen sich neu organisieren und die Resorption von Lymphe und Serum läuft erst langsam an. Diese Drainage leitet Körperflüssigkeit aus der Wunde und ist eine potenzielle Quelle von Problemen, weil sie Infektionen oder Entzündungen begünstigt. Daher ist eine Verkürzung der Liegezeit einer solchen Drainage wichtig.

Konventionell gibt es hierzu keine Möglichkeit, weswegen das israelische Forscherteam von der Hebrew University um Menachem Oberbaum, der schon an einigen Studien zur Homöopathie beteiligt war [1-4], in diesem Falle Homöopathie untersucht hat.

Das Studiendesign

In dieser Studie wurden 70 Patientinnen angesprochen und 55 konsekutive Patientinnen waren bereit mitzumachen und wurden aufgenommen. Sie erhielten alle wegen eines Brustkrebses eine Operation an der Brust, Amputation und Rekonstruktion, und bekamen randomisiert Placebo, oder homöopathische Therapie. 29 Patientinnen wurden in die Homöopathie-Gruppe gelost, 26 in die Placebo-Gruppe; 5 Patientinnen der Placebo-Gruppe und eine Patientin der Homöopathiegruppe brach die Behandlung ab, aber alle 55 Patientinnen wurden ausgewertet.

Das ist eine konservative Auswertungsmethode, die Standard ist bei guten klinischen Studien, die sog. „intention to treat“-Methode. Dabei bleiben alle Patienten in der einmal zugewiesenen Gruppe und gehen mit dem letzten Wert in die Auswertung ein, schlimmstenfalls eben als Therapieversager. Weil die Auswertungseinheiten bei manchen Parametern nicht Personen, sondern die Anzahl der Brüste war und bei manchen Frauen beide Brüste operiert wurden, sind in den Tabellen manchmal andere Zahlen zu finden, was in den Legenden nicht immer klar ist.

Zielkriterium

Bei allen Patientinnen wurde nach der Operation eine Drainage gelegt. Das Zielkriterium war denkbar einfach, klar und hart: Die Zeit, die die Drainage nach Urteil des Chirurgen zu verbleiben hatte. Der Chirurg war natürlich, genauso wie alles Personal und die Patientinnen, verblindet gegenüber der Behandlung. Die Behandlung bestand in einer Kombination aus Arnica C30 und Bellis perennis C30.

Arnica ist den meisten Menschen bekannt als das sog. „Fallkraut“ aus der Volksheilkunde. Dort ist es schon lange bewährt zur Behandlung von Prellungen, Stauchungen und inneren und äußeren Blutungen aller Art. Allerdings sollte man es nicht in Urtinktur und auch nicht direkt auf die Haut anwenden.

Daher potenziert es die Homöopathie schon lange, und es hat den Status einer effektiven ersten Hilfe-Arznei bei Verletzungen, allerdings normalerweise vor allem bei stumpfen Verletzungen wie Stauchungen, die innere Blutungen zur Folge haben.

Bellis perennis, das Gänseblümchen, ist weniger bekannt. Es hat allerdings auch einen guten Ruf als Arzneimittel bei Wunden, die im tieferen Gewebe liegen.

Über die formelhafte Handhabung kann man streiten…

In dieser Studie wurde jedes Mittel in der C30 verwendet. Arnica wurde kurz vor der Operation eingenommen. Dann Arnica und Bellis C30 vier bis sechsmal am Tag über 24 Stunden, dann 3 weitere Tage beides dreimal am Tag und schließlich nur noch Bellis dreimal am Tag bis zur Entfernung der Drainage.

Über eine solche formelhafte Handhabung homöopathischer Therapie kann man streiten. Sie hat Vorteile, denn im Erfolgsfalle wie hier, kann sie leicht übernommen werden. Sie hat Nachteile, denn je nach individueller Reaktion müsste man eigentlich die Dosierung anpassen, vielleicht weniger oder mehr, je nach Erfolg. Sei’s drum.

Die Gabe von mehr als einer Arznei ist in der Homöopathie im Akutfall durchaus üblich und wurde auch von Hahnemann hin und wieder empfohlen und selber verwendet. Hahnemann war ja ohnehin der schlechteste aller Hahnemannianer und hat sich auch an seine eigenen Vorschriften nicht immer gehalten, wie seine therapeutischen Tagebücher gezeigt haben [5].

Voll verblindet

Um die Studie zu verblinden erhielten die Patientinnen der Placebogruppe genau das gleiche Regime, auch mit zwei verschiedenen Behältnissen, die kodiert waren, nur eben mit Placebo. Die Kodierung wurde mittels eines Computercodes von einer dritten Instanz durchgeführt, die die Arzneien lieferte. Somit war die Studie ganz verblindet. Die Medikation erfolgte als Zuckerkügelchen, 3 Stück als eine Dosis. Während die richtigen Arzneimittelkügelchen mit einer alkoholischen Lösung von Bellis bzw. Arnica C30 besprüht waren, wurden die Placebokügelchen mit Alkohol der gleichen Konzentration besprüht, so dass sie nicht unterscheidbar waren.

Neben dem Hauptzielkriterium wurden noch einige andere Variablen erfasst: Wundheilung und Komplikationen, Laborparameter, Schmerzen, Qualität der Erholung nach der Operation, gemessen am 4. Und 7. Tag der Operation.

Vergleichbarkeit der Gruppen

Bei solchen vergleichsweise kleinen Studien ist es immer wichtig zu sehen, ob die Patientinnen beider Gruppen einigermaßen vergleichbar waren, da die Randomisation eigentlich erst ab großen Studien mit ca. 100 bis 150 Leuten pro Gruppe konfundierende Variablen richtig gut per Zufall verteilt. Daher sieht man sich immer auch die Ausgangssituation der Patientinnen an. Diese war in diesem Falle relativ gut. Die Gruppen waren vor der Operation gut vergleichbar. Auch bei den Operationsprozeduren waren die Gruppen gut vergleichbar.

Nur was das Gewicht der amputierten Brüste und das Volumen der Implantate anging zeigten sich Unterschiede: Patientinnen der Placebo-Gruppe erhielten in der Operation mehr Brustgewebe entfernt und hatten daher ein höheres Implantat-Volumen. Dieser Unterschied trat erst nach der Randomisation und nach der Operation auf und die Autoren argumentieren, dass es keinerlei Hinweise darauf gibt, dass die Liegezeit von Drainagen mit der Menge des entfernten oder rekonstituierten Gewebes zusammenhängt und dass dieser Unterschied ja nach der Randomisation aufgetreten ist.

Das stimmt zwar, hätte aber meines Erachtens durch ein lineares Modell in der Auswertung aufgefangen werden können. Ein solches Modell hätte diesen Unterschied in die statistische Analyse mit einbeziehen können. Schade, dass die Autoren das nicht gemacht haben, denn so bleiben die Daten unnötig angreifbar.

Ergebnisse: siginifikanter Unterschied, mittelgroße Effektstärke

Beim Hauptzielkriterium ergab sich ein signifikanter Unterschied: die Liegezeit der Drainage betrug 11.1 Tag unter Homöopathie und 16,5 Tage unter Placebo. Die Effektstärke ist mit d = 0.4 mittelgroß. Dass der Effekt in einer Studie dieser Größe signifikant wurde, halte ich für einen kleinen Glücksfall. Denn die statistische Mächtigkeit liegt mit 1-beta = .37. Das bedeutet: Die Studie hatte die Wahrscheinlichkeit von 37% einen solchen Effekt zu entdecken, wenn er vorhanden ist. Damit haben die Autoren großes Glück gehabt, dass sie in dieser Studie einen signifikanten Effekt sahen. Vermutlich hatten sie auch einen größeren Effekt antizipiert.

Andere Parameter waren nicht verschieden, außer dass es einen Trend gab. Dass in der Homöopathie-Gruppe weniger Opiate gebraucht wurden, dürfte ein Hinweis auf geringere Schmerzen sein. Allerdings haben die Autoren vergessen, die präzisen Daten hierfür anzugeben und begnügen sich mit der Angabe des knapp nicht signifikanten p-Wertes von 0.058. Bei dreizehn Brüsten ergaben sich Komplikationen, die auf beide Gruppen gleich verteilt waren. Nebenwirkungen der Behandlung wurden nicht beobachtet.

Vergleich von Arnica-Studien

Dies ist eine der wenigen Studien mit relativ klarem Ergebnis unter Arnica, das positiv für die Homöopathie ist. Es gibt eine Reihe von Studien zu Arnica, aber nur wenige zeigen eine deutliche Überlegenheit. Eine Serie von drei Studien bei Operationen zeigt in einer Studie, bei der Arnica bei Kreuzband-Operation eingesetzt wurde einen Effekt, nicht aber bei Arthroskopie.

Dafür ist der Effekt im gemeinsamen Ergebnis, in dem alle drei Studien zusammengerechnet werden, signifikant [6]. Es gibt auch Studien, bei denen Arnica tendenziell schlechter abschneidet als Placebo [7]. Woran das liegt, dass man bei einer anscheinend klaren Indikation – Blutung, Verletzung – und einer anscheinend passenden Medikation – Arnica -, die in der Praxis in aller Regel sehr zuverlässig funktioniert, in einer Studie manchmal keinen Effekt sieht, darüber kann man gut spekulieren. Wir rechnen gerade an einer Meta-Analyse und werden sehen, ob der gepoolte Effekt über alle Studien hinweg signifikant ist.

Arnica für offene Wunden?

Möglicherweise ist ja die Ausweitung der Arnica-Indikation auf offene Wunden, wie in der Chirurgie, gar keine so gute Idee. Denn Arnica hat in der Indikation vor allem die Folgen von Druck-, Prell- und Stauchverletzungen.

Die gehen zwar auch mit inneren Blutungen einher. Diese sind aber relativ begrenzt und erzeugen den berühmten Arnica-Schmerz – „wie zerschlagen“ – vor allem durch eine zwar kleine, aber drückende Raumforderung des Hämatoms in inneren, schmerzempfindlichen Bereichen wie Gelenkkapseln, Sehnenansätzen, zwischen Faszien, etc. Und dort dürfte durch rasche Resorption eine schnelle Schmerzlinderung einsetzen.

Ich habe das selber des Öfteren erlebt, als ich mir nach einem gezerrten Außenband mit einer großen Schwellung am Knöchel durch eine abwechselnde Gabe aus Arnica und Rhus toxicodendron innerhalb weniger Tage wieder die übliche Beweglichkeit und Belastbarkeit verschaffen konnte.

Wenn die Ausweitung auf offene Wunden mit Schnittverletzungen, wie bei Operationen, keine gute Arnica-Indikation ist, wären da andere Arzneien, wie Staphisagria und Bellis perennis und vielleicht auch Calendula, möglicherweise wesentlich geeigneter. Das müsste untersucht werden.

Einordnung

Was mir beim Sichten der Arnica-Studien auffällt sind zwei Dinge:

Studien, die zum ersten Mal irgendwo mit diesem Modell – Arnica bei irgendeiner Verletzung – gemacht werden, sind in aller Regel deutlich signifikant und klar. Die frühe Studie von Hofmeyer zum Beispiel zeigt einen Effekt, aber nur von Arnica D6, nicht von D30, was eigentlich seltsam ist, wenn man von der klinischen Praxis ausgeht [8].

Die meisten Studien wenden die Therapie formelhaft an, also ein fixes Dosierungsschema. Dann tauchen immer wieder bei Nachfolgestudien oder Studien, die ein ähnliches Modell anwenden plötzlich deutlich mehr Besserungen unter Placebo auf, so als hätte sich die Arnica-Gabe verschlimmernd ausgewirkt. Das ist denkbar. Denn in der klinischen Praxis würde man Arnica-Gaben entweder nur so oft geben, bis Besserung einsetzt und dann aufhören, oder sie strecken, indem man die Kügelchen in Wasser auflöst und schluckweise alle Stunden einen kleinen Schluck nehmen lässt, oder eben überhaupt ein anderes Arzneimittel verwenden. Die formelhafte Verabreichung im Rahmen von Studien scheint nicht immer eine gute Idee zu sein.

Insofern haben die Autoren dieser Studie hier wohl Glück gehabt: Sie haben in einem durchaus ernsten, nicht einfachen Studienmodell mit einem sehr klaren, deutlich erfassbaren und klinisch relevanten Ergebnisparameter ein signifikantes und klinisch bedeutsames Ergebnis erzielt, obwohl die statistische Mächtigkeit zu wünschen übrig ließ.

Fazit

Diese Studie zeigt (wie etliche andere Studien): Eine methodisch sauber durchgeführte Studie kann klinische Effekte der Homöopathie über Placebo belegen –  auch wenn homöopathische Arzneien bis in den ultramolekularen Bereich jenseits der Avogadroschen Zahl potenziert werden. – In diesem Bereich kann man mit keinen Molekülen der Ausgangssubstanz mehr rechnen.

Zentral ist aber auch, dass man gerade bei offenen Wunden dreierlei beachtet:

  1. Arnica nicht zu tief potenziert verabreichen
  2. Aufhören mit der Arzneimittelgabe, wenn sich die Besserung zeigt bzw. die Abstände zwischen Einnahmen von Nachfolgedosen verringern
  3. Gerade bei stark blutenden Wunden nach der Versorgung unter Umständen andere Arzneimittel in Betracht ziehen: Bellis, Staphisagria, Calendula.

Referenzen

  1. Yakir M, Klein-Laansma CT, Kreitler S, Brzezinski A, Oberbaum M, Vithoulkas G, Bentwich Z: A Placebo-Controlled Double-Blind Randomized Trial with Individualized Homeopathic Treatment Using a Symptom Cluster Approach in Women with Premenstrual Syndrome. Homeopathy 2019;108:256-269.
  2. Frass M, Friehs H, Thallinger C, Sohal NK, Marosi C, Muchitsch I, Gaertner K, Gleiss A, Schuster E, Oberbaum M: Influence of adjunctive classical homeopathy on global health status and subjective wellbeing in cancer patients – A pragmatic randomized controlled trial. Complementary Therapies in Medicine 2015;23:309-317.
  3. Oberbaum M, Yaniv I, Ben-Gal Y, Stein J, Ben-Zvi N, Freedman LS, Branski D: A randomized, controlled clnical trial of the homeopathic medication TRAUMEEL S in the treatment of chemotherapy-induced stomatitis in children undergoing stem cell transplantation. Cancer 2001;92:684-690.
  4. Yakir M, Kreitler S, Brzezinski A, Vithoulkas G, Oberbaum M, Bentwich Z: Effects of homeopathic treatment in women with premenstrual syndrome: a pilot study. British Homeopathic Journal 2001;90:48-153.
  5. Michalowski A, Sander S, Sauerbeck K-O: Therapiegeschichtliche Materialien zu Samuel Hahnemanns Pariser Praxis. Medizin, Gesellschaft und Geschichte 1989;8:171-196.
  6. Brinkhaus B, Wilkens JM, Lüdtke R, Hunger J, Witt CM, Willich SN: Homoeopathic arnica montana for knee surgery. Complementary Therapies in Medicine 2006;14:237-246.
  7. Ramelet A-A, Buchheim G, Lorenz P, Imfeld M: Homeopathic Arnica in postoperative haematomas: A double-blind study. Dermatology 2000;201:347-348.
  8. Hofmeyr GJ: Postpartum homoeopathic Arnica montana: a potency-finding pilot study. British Journal of Clinical Practice 1990;44:619-621.
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Homöopathie und Depression – 2

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Viksveen, P., Relton, C., & Nicholl, J. (2017). Depressed patients treated by homeopaths: a randomised controlled trial using the “cohort multiple randomised controlled trial” (cmRCT) design. Trials, 18(1), 299.

https://trialsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13063-017-2040-2

Klassische homöopathische Therapie bringt zusätzlichen Vorteil

Harald Walach

Vorbemerkung

Obwohl diese Studie noch relativ neu ist, gehört sie mittlerweile auch schon fast zu den „Klassikern“ und passt sehr gut zu den Depressionsstudien, die ich zuletzt besprochen habe. Sie passt auch deswegen gut, weil sie zu den ausgeschlossenen Studien gehört, die der französische HTA nicht besprochen hat, weil ihr Ergebnis nicht aus dem französischen Gesundheitssystem kommt. Vielleicht auch, weil es sich um ein ungewöhnliches, neues Design handelt. Die Studie wurde im englischen Gesundheitssystem durchgeführt und ist daher durchaus relevant für die öffentliche Gesundheitsversorgung, und als „open access“ Publikation kann sie leicht von jedermann gelesen werden.

Natürliche Kohorten

Das neue Design nennt sich etwas gestelzt „cohort multiple randomised controlled trial“. Dahinter verbirgt sich eine pragmatische Studie, die in eine natürliche Kohorte eingebettet ist. Natürliche Kohorten sind epidemiologische Langzeitstudien, die irgendwo begonnen werden. Dazu wird eine ausreichend große Gruppe von Menschen oder Patienten gewonnen, die bereit sind sich über einen längeren Zeitraum beobachten zu lassen und regelmäßig Daten abzuliefern. Entweder über Fragebogen, oder Interview, oder medizinische Daten oder eine Mischung davon. Meistens werden solche Datenmeßpunkte in jährlichem, manchmal auch in kleineren oder größeren Abständen erhoben.

In eine solche Kohorte wird nun bei diesem neuen Design eine randomisierte Studie eingebettet. Das funktioniert so, dass einer Zufallsauswahl der Kohorte bei einem Folgebesuch eine zusätzliche Intervention, in diesem Falle klassische Homöopathie, angeboten wird. Diejenigen, die das Angebot annehmen, werden dann entsprechend behandelt, diejenigen, die das Angebot nicht erhalten aber theoretisch hätten erhalten können, dienen dann als Kontrolle. Dieses Modell wurde in der hier vorliegenden Studie benutzt.

Die Kohorte war die“Yorkshire Health Study“, eine longitudinale Beobachtungsstudie in Yorkshire, England, die damals 22.179 Personen umfasste, also eine relativ große Zahl von Menschen unter regulärer Beobachtung. Von diesen hatten 5.740  eine bereits seit längerem bestehende Depression angegeben. Das ist immerhin ein Viertel der gesamten Kohorte und als solches schon ein bemerkenswertes Faktum.

Viele profitieren von den konventionellen Therapien nicht

Ich erinnere an das, was ich im früheren Blogbeitrag erwähnt habe: Depressionsbehandlung durch Psychopharmaka ist weniger gut gesichert als man das immer glauben mag. Wenn sie wirklich so gut, und vor allem kausal, funktionieren würde, wie man meint, dann dürfte Depression nicht diejenige Krankheit sein, von der die WHO die meisten Ausfalltage aller Krankheiten ab 2020 erwartet.

Die depressiven Patienten dieser Kohorte waren alle in „normaler“ konventioneller Hausarzt-Versorgung in England. Das bedeutet in England: Psychopharmaka, kognitive Verhaltenstherapie und Gesprächstherapie, je ein Kurs, und wenn es nichts hilft war’s das eben. Davon kann ich ein Lied singen, denn als ich selber in England war, kam der Leiter des lokalen Mental Health Trusts, der für die Versorgung solcher Patienten zuständig ist, zu mir und bat mich, Achtsamkeitsgruppen anzubieten für solche Patienten, denn er hätte sehr viele, die von den konventionellen Therapien überhaupt nicht profitieren würden.

PHQ9: Zuverlässige Diagnosen durch Eigenangaben

Die Patienten in dieser Kohorte waren also „normale“ Depressionspatienten die laut Eigenangabe im Fragebogen an Depressionen litten. Dazu wurde der Patient Health Questionnaire mit 9 Items (PHQ9) verwendet. Das ist sowohl ein Screening- als auch Outcome-Instrument, das anhand der Symptomatologie des Diagnostischen und Statistischen Manuals zur Diagnose psychischer Störungen (DSM IV) der amerikanischen psychiatrischen Vereinigung entwickelt wurde [1] und relativ zuverlässig darin ist, anhand von Eigenangaben eine solche Diagnose zu stellen; die Spezifizität und Sensitivität beträgt 88%.

Das bedeutet, in 88% der Fälle, in denen jeman 10 oder mehr Punkte auf dieser Skala hat liegt wirklich eine echte Depression lt. DSM IV vor und in 88% der Fälle, in denen jemand psychische Probleme hat kann der Fragebogen zuverlässig zwischen Depression und anderen Problemen trennen. Das ist für ein Instrument mit 9 Items, die Depression erfassen und 6, die Angst erfassen recht gut. Der Höchstwert für Depression auf diesem Instrument wäre 27 Punkte, und dann hat man jeden Tag Selbstmordgedanken, kommt nicht aus dem Bett, hat keinen Appetit, schläft schlecht oder zu lang, usw. 10 Punkte signalisieren eine deutliche Belastung, und das war hier der Punkt, an dem Menschen als depressiv diagnostiziert wurden und eingeschlossen wurden.

Die Intervention war nicht die Behandlung selbst

Insgesamt ein Viertel dieser Kohorte erfüllten also diese Kriterien einer selbst berichteten Depression, erhielten einen zusätzlichen Fragebogen, den knapp 40% zurücksandten. Von diesen erfüllten 566 die Einschlusskriterien und 185 wurden per Zufall ausgewählt, um ein freies Zusatzangebot für homöopathische Behandlung zu erhalten.

Das ist wichtig zu verstehen: die experimentelle Intervention war nicht die homöopathische Behandlung, sondern das Angebot, eine solche Behandlung zu bekommen, oder eben nicht. Die anderen erfuhren nämlich gar nicht von dem Angebot. Und von denen, die das Angebot erhielten, nahmen es 74 an und 111 nicht. Die anderen 381, die den Fragebogen zurücksandten aber nicht ausgewählt wurden, waren damit in der Kontrollgruppe.

Das ist ein interessantes Design deswegen, weil damit bei niemandem Hoffnungen geweckt werden, die dann durch Randomisationsergebnisse durchkreuzt werden, wie das bei klassischen Studien der Fall ist. Vielmehr können die Patienten wählen, wie im normalen Leben auch und werden durch das klinische Experiment allenfalls auf ein Zusatzangebot aufmerksam gemacht, das sie in Anspruch nehmen können oder nicht.

Das Element der freien Wahl bleibt also erhalten, aber das Element, das normalerweise in der freien Praxis vorhanden ist, ein möglicherweise bestehender Homöopathie-Enthusiasmus bei Patienten, das fehlt hier. Eine solche Studie ist also relativ nahe an der Realität, abgesehen von der vielleicht wichtigen therapeutischen Entscheidung eines Patienten, sich jetzt wirklich aufzumachen und doch mal was anderes auszuprobieren, die normalerweise eine Rolle spielt, wenn Menschen einen homöopathischen Arzt aufsuchen.

Therapie in Englands „integrierten Praxen“

Die homöopathische Therapie wurde von 7 Homöopathen in drei integrierten Praxen angeboten. Dazu muß man wissen: in England arbeiten sehr häufig integrierte Teams in Großpraxen zusammen und wenn solche Praxen im Rahmen des National Health Service operieren, was sie meistens tun, dann ist es den Praxisleitern freigestellt, den Patienten im Rahmen ihres Budgets anzubieten, was auch immer sie für richtig halten. Dann kann es durchaus auch sein, dass Geistheiler, Masseure oder Homöopathen in solchen Praxen mitarbeiten. Leider ist nicht bekannt, was für Art von Homöopathen dies in dieser Studie waren, ob Laien- oder ärztliche Homöopathen. Es ist nur beschrieben, dass die Patienten 9 Monate behandelt wurden und auf die Art und Weise, die diese Homöopathen für richtig hielten.

Die beiden Patientengruppen waren zu Anfang der Studie sehr gut miteinander vergleichbar, hatten ungefähr gleich viel medikamentöse Antidepressionsbehandlung, nämlich 43.7% und 40.7 % in der Experimental- und Kontrollgruppe und beide Gruppen nahmen im Durchschnitt 4.7 Medikamente ein. Die Baseline Belastung war mit 16,9 bzw. 17 Punkten in den beiden Gruppen durchaus deutlich, und 28.1% bzw. 30% der  Patienten hatten eine schwere Depression mit Punktwerten zwischen 20 und 27.

Ergebnisse: Signifikante Effekte beim „Superplacebo“

Die Hauptanalyse stützte sich auf die Veränderung des PHQ9-Wertes, der die Depression erfasst. Dieser sank in der Gruppe derer, die das Angebot erhalten und angenommen hatten nach 6 Monaten um 2.6 Punkte, ein Unterschied, der mit p = 0.018 signifikant war und hielt sich nach 12 Monaten mit einer Differenz von 2.4 Punkten gegenüber Baseline stabil. Die Effektstärke war mit d = 0.57 nach 6 Monaten und d = 0.53 nach 12 Monaten klinisch bedeutsam. Als sekundäres Zielkriterium wurde die Angst gemessen. Diese sank ebenfalls signifikant mit einer Effektstärke von d = 0.61 nach 6 und d = 0.59 nach 12 Monaten.

Damit zeigt sich also die homöopathische Zusatztherapie der Standardtherapie in dieser pragmatischen Studie als überlegen. Die Effekte sind klinisch bedeutsam, mehr als eine halbe Standardabweichung groß und damit größer als das, was NICE, die englische Behörde, die Empfehlungen für Behandlungen abgibt, für eine Depressionstherapie gegenüber Placebo fordert. Ist die Standardtherapie ein Placebo? Vielleicht. Ist die Homöopathie ein Placebo? Vielleicht. Aber dann ein Superplacebo, das auf das vorhandene Placebo nochmals eine halbe Standardabweichung an Effekt draufsattelt. Das gelingt keiner pharmakologischen Therapie, die klassischer Weise etwa ein Drittel Standardabweichung maximal gegenüber Placebo vorweisen können.

Kritik

Natürlich, werden Kritiker sagen, hier wurde Homöopathie im Gesamtpaket untersucht: Konsultation, diätetische Anregungen, soziale Unterstützung plus Kügelchen, und man weiss nicht mal, wie kompetent die Homöopathen waren. Aber im pragmatischen Sinne kann man sagen: dies ist eben die Homöopathie, die man erhält, wenn man in Doncaster, Yorkshire, zu einem Homöopathen geht. Und die Studie beantwortet die Frage: Hat das einen Zusatznutzen zu dem, was passiert, wenn einen der Hausarzt behandelt. Die Antwort: Ja, hat es, und zwar klinisch und statistisch bedeutsam.

Kritiker könnten auch sagen: egal was man macht, wenn man irgend etwas Zusätzliches macht, hat das eben einen Effekt von ca. einer halben Standard-Abweichung. Es könnte auch eine Therapie sein, bei der man eine Stunde lang ein Kinderbuch anschaut oder Märchen vorgelesen bekommt. Denkbar. Aber aus meiner Sicht nicht sonderlich plausibel. Wenn jemand eine solche andere Zusatztherapie für angebracht hält, müsste sie vielleicht ebenso in einem solchen Design, oder idealerweise auch in einer mehrarmigen Studie dieser Art untersucht werden. Vielleicht könnte man sich ja auch ein Superplacebo ausdenken, das entsprechend beworben wird und dies dann anbieten.

Das ist alles denkbar und theoretisch richtig. Der Punkt ist: bis jetzt ist eine solche Therapie in der Praxis weder bekannt noch angewandt worden und daher haben wir auch kein Wissen darüber. Hier wissen wir nur: wenn man zusätzlich zu der ja nun aus Studien bekannten und angeblich wirksamen Depressionstherapie Patienten noch Homöopathie anbietet und diese dieses Angebot annehmen, dann erleben sie nochmals eine Besserung in der Höhe von einer halben Standardabweichung. Ob aufgrund der Kügelchen, des Gesamtpakets, oder weil einfach irgendwas Zusätzliches passiert, wissen wir nicht. Immerhin.

Fazit: Saubere Studie, solide Auswertung

Die Studie ist aus meiner Sicht sauber gemacht. Die Autoren haben sich viel Mühe gegeben, die nicht ganz einfache Studie solide auszuwerten. Sie haben einen Weg mit einer neuen Analysemethode gefunden, die Patienten, die das Angebot angenommen haben mit denen zu vergleichen, die es nicht erhalten haben, ein Mittelding zwischen einer klassischen intention-to-treat Analyse und einer Analyse, in der nur die betrachtet werden, die auch Daten geliefert haben.

Das erste wäre in einem solchen Fall zu konservativ, das zweite zu schönfärberisch. Der eingeschlagene Weg scheint mir eine realistische Schätzung zu sein. Da die Studie pragmatisch war, und alle Patienten frei waren alles Mögliche zusätzlich zu unternehmen und die Auswahl zufällig war, spielen konfundierende Faktoren wie Sternzeichen, Zusatztherapien, Ernährungsgewohnheiten oder politische Einstellung keine Rolle und die Interpretation ist eigentlich einfach.

Denn es gibt zwei Möglichkeiten, dieses Ergebnis zu interpretieren: Entweder diese Süd-Yorkshire Homöopathen haben ein Spezialrezept, um bei normalen Depressionspatienten in Yorkshire einen Superplacebo-Effekt auszulösen. Dann sollten wir schleunigst lernen wie das geht. Denn, dann könnten wir uns die ganze pharmakologische Maschinerie sparen, die vor allem viele Nebenwirkungen und relativ bescheidene Wirkungen erzeugt. Oder aber es ist eben an der Homöopathie doch was dran, was es zu verstehen gilt.

Referenz

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