Teil 2 – Die Studienlage
Harald Walach
Die neue Sars-CoV-2 oder Covid-19
Pandemie zeigt uns, dass Epidemien von virulenten Erregern, meistens Viren,
aber oft auch Bakterien, immer noch ein medizinisches Problem darstellen. Hatte
1948 der amerikanische Innenmister Marshall noch erklärt, die Welt hätte nun
alle Mittel, um Infektionskrankheiten auszulöschen, so hat die Folgezeit alle
eines besseren belehrt: Alte Krankheiten, die besiegt geglaubt waren, kommen
zurück, neue entstehen und insgesamt sind wir weit davon entfernt, die Erreger
im Griff zu haben [1].
Vielleicht müssen wir uns darauf
besinnen, dass Erreger, Viren wie Bakterien, eine Art ökologischer Gemeinschaft
mit uns bilden und dass es nicht ums Bekämpfen gehen kann, sondern ums
Zurechtkommen: durch Stützung unseres Immunsystems und Immunität, zu der auch
Impfungen beitragen.
Ganz abgesehen davon, dass wir um
eine Zehnerpotenz mehr Bakterien im und auf dem Körper haben als wir Zellen
besitzen. Diese sind für unser Wohlergehen essenziell, indem sie zum Beispiel
Stoffwechselprozesse im Darm steuern [2].
Daher wird der Homöopathie auch in Zukunft eine wichtige Rolle zukommen. Denn
sie bekämpft naturgemäß nicht Erreger, sondern hilft dem menschlichen
Immunsystem, sich zu stabilisieren und gezielt zu reagieren. Wir haben im
letzten Teil gesehen, wie die historische Entwicklung war und wollen hier
einige neuere Studien besprechen.
Homöopathie bei Sepsis
In
Europa sind Studien zu akuten Infektionen in der neueren Zeit rar. Denn mit dem
Aufkommen von Impfungen und antibakterieller Therapie ist der therapeutische
Druck verschwunden, der noch Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte. Außerdem
ist durch die Verbesserung der hygienischen Verhältnisse und der Ernährungslage
die Bedrohung lange nicht mehr so groß wie zu den Zeiten der großen Epidemien
im 19. Jahrhundert.
Eine Ausnahme stellt die Studie von
Michael Frass und Kollegen dar, die homöopathische Therapie bei akuter Sepsis
untersuchten [3].
Das ist deswegen für unseren Zusammenhang von Bedeutung, weil Sepsis ja eine
der gefürchteten Folgen einer bakteriellen Infektion ist. Sie tritt meist dann
auf, wenn das Immunsystem mit dem Erreger nicht fertig wird. Die konventionelle
Behandlung stößt dann auch an ihre Grenzen und ist nur noch stützend. Nicht
selten sind resistente Keime die Ursache, gegen die kein Antibiotikum mehr
hilft. Sie entstehen, weil Bakterien Resistenzgene besitzen, die sie unter dem
Druck antibiotischer Therapie aktivieren, untereinander austauschen können und
weil Bakterien sich so schnell replizieren, dass immer noch ein Stamm, der dann
resistent ist, übrigbleibt und sich weiter vermehren kann. [1, 4]
Sepsis-Studie am Wiener Allgemeinen Krankhaus
In
der Studie am Wiener Allgemeinen Krankhaus wurden 70 Sepsis-Patienten, die in
die Intensivstation kamen, zusätzlich zu der üblichen konventionellen Therapie (incl.
Antibiotika in beiden Gruppen) entweder mit homöopathischer Therapie nach
Arzneimittelwahl des Arztes versorgt oder mit einem Placebo. Die homöopathische
Therapie erfolgte natürlich verblindet in der Potenz C200 zweimal am Tag,
solange, bis der Patient aus der Intensivstation entlassen wurde oder verstarb.
Gemessen wurde die Überlebensrate nach 180 Tagen. Drei Patienten, zwei unter
Homöopathie und einer unter Placebo, wurden nicht ausgewertet, weil die Daten
nicht vollständig waren. Diese Patienten überlebten. Von den restlichen 33
Homöopathie-Patienten waren nach 180 Tagen noch 25 am Leben, von den 34 Placebo-Patienten
noch 17. Dieser Unterschied von 76% vs. 50% ist statistisch signifikant,
gerechnet mit einem robusten Test.
Die Studie zeigt, dass Homöopathie
offenbar auch heute noch eine wirksame Therapie bei Infektionen sein kann.
Interessant an dieser Studie ist die Tatsache, dass die homöopathischen
Arzneimittel frei wählbar waren, dass sie in einer hohen Potenz verabreicht
wurden und später nichts mehr weiter unternommen wurde. Damit war in dieser
relativ langen Beobachtungszeit ein deutlicher Effekt zu sehen, der auf die kurze
akute Therapie zurückzuführen ist.
Homöopathie in Indien – Japanische Enzephalitis
Epidemien
Anders
ist die Situation in den ärmeren Ländern. In Indien spielt die Homöopathie auch
bei Infektionskrankheiten noch eine Rolle, vor allem bei viralen Infekten,
gegen die konventionell wenig therapeutische Möglichkeiten existieren. Auch in
Indien war der Erfolg bei den Cholera-Epidemien im späten 19. Jahrhundert einer
der Gründe, der dort zur Akzeptanz der Homöopathie führte. Seither gehört die
Homöopathie zusammen mit den traditionell in Indien ansässigen
Therapieverfahren zum Gesundheitssystem.
Daher
hat die Indische Regierung 1991 das Central Council of Research in Homeopathy
(CCRH) um Hilfe gebeten, als wieder eine Epidemie von Japanischer Enzephalitis
im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh ausbrach [7].
Diese Enzephalitis wird von einem Flavivirus übertragen, einer Gruppe von
Erregern, die auch für das berüchtigte Dengue-Fieber verantwortlich ist. In
Südostasien kommt dieses Virus häufig vor und wird von Stechmücken übertragen.
In Indien tauchten Epidemien regelmäßig auf mit Sterberaten bei den infizierten
Kranken um 30% bis 45%, manchmal bis 60%.
In dem vorliegenden Bericht wurde für die laufende Epidemie eine Mortalitätsrate von 21% ermittelt. Anhand der Symptome von 239 hospitalisierten Fällen wurde das epidemische Arzneimittelbild ermittelt, das in diesem Falle Belladonna als das Arzneimittel mit der besten Passung ergab. Das ist, wie wir im letzten Beitrag gesehen haben, die Gesamtheit der Symptome einer epidemischen Erkrankung über alle Personen hinweg, wie Hahnemann das in den §§100-102 seines Organons beschrieben hatte. Mit dieser Arznei in C200 Potenz wurden dann 322.812 Personen präventiv behandelt, die in Dörfern lebten, die am schlimmsten von der Epidemie betroffen waren. Das Follow-up wurde leider nur bei etwa 10% oder 39.250 Personen durchgeführt. Von diesen erkrankte niemand ernsthaft, nur 14 Personen hatten angeblich leichte Symptome, die nach ein paar Tagen wieder verschwanden.
Dies ist nun wahrhaftig kein sonderlich robuster Datensatz. Aber er zeigt, dass die prophylaktische Verwendung, die schon Hahnemann in seinem Organon beschrieben hat – siehe der letzte Beitrag dieser Serie – immer noch von Bedeutung ist und offenbar funktionieren kann, wenn das epidemische Bild sehr klar ist.
Eine neuere Übersicht zeigt, dass diese Ansätze auch heute
noch in Indien mit Erfolg durchgeführt werden. Homöopathische Therapie zusammen
mit konventionellem Management von akut erkrankten Patienten mit Japanischer
Enzephalitis zeigte eine Verringerung von Morbidität und Mortalität um 31% [8].
Dengue-Fieber
Dengue-Fieber wird von der gleichen
Virusgruppe übertragen, ebenfalls über Moskito-Stiche. Es gehört zu den
Fieber-Erkrankungen, die schwere Komplikationen wie Schock und innere Blutungen
auslösen können. Es gibt zwar einen Impfstoff. Aber der ist nicht überall
zugelassen und auch nicht überall vorrätig.
Auch
bei dieser Erkrankung gab es einige dokumentierte homöopathische Therapie- bzw.
Präventionsstudien. Eine der wenigen vergleichenden Therapiestudien führten
pakistanische Forscher mit einer kleinen Gruppe von Patienten mit Dengue-Fieber
durch [9].
Sie verwendeten eine homöopathische Kombinationsarznei, die diejenigen
Arzneimittel in C30 enthielten, die zu dem Symptomenbild von Dengue-Fieber passen:
Eupatorium, Rhus toxicodendron, Aconitum, Gelsemium, Bryonia, China, Crotalus
horridus, Colocynthis, Phosphor.
Diese
Intervention wurde mit dem konventionellen Behandlungsprotokoll allein
verglichen, das selbstverständlich auch die Patienten der Homöopathie-Gruppe
erhielten. Die Studie war mit 50 Patienten sehr klein und es ist nicht klar,
wie die Gruppenverteilung durchgeführt wurde. Gemessen wurden drei objektive
Kriterien, die Anzahl der Blutplättchen, die Anzahl der weißen Blutkörperchen
und der Hämatokritwert, die den Verlauf des Fiebers markieren und z.B.
problematische Entwicklungen wie innere Blutungen signalisieren. Die Werte
verbesserten sich in beiden Gruppen, aber in der homöopathisch behandelten
Gruppe signifikant stärker.
Prophylaktische
Behandlung in Brasilien
In
Brasilien wurden zwei Studien zu prophylaktischer Behandlung bzw. Therapie von
Dengue-Fieber publiziert. In der ersten Studie [10]
wurde ein Kombinationsarzneimittel in einem Bezirk von Rio de Janeiro verwendet,
das die wichtigsten Symptome abdeckte. Es bestand aus Eupatorium perfoliatum,
Phosphor und Crotalus horridus, alle in der C30. Eupatorium trifft dabei vor
allem die akute erste Phase mit Gliederschmerzen, die sich anfühlen wie
zerschlagen, Fieber, Müdigkeit und der Schwierigkeit zu atmen. Phosphor ist in einen
späteren Zustand passend, wenn Blutungen und Lungenprobleme auftauchen und
Crotalus horridus, das aus dem Gift der Klapperschlange gewonnen wird, trifft
den Zustand des Schocks und der schweren inneren Blutung, weil sich die
Gerinnungsfähigkeit des Blutes verändert.
Mit diesem Arzneimittel wurden 129
symptomatische Patienten behandelt, die innerhalb von 5 Tagen genasen und von
denen keiner starb. Normalerweise ist die Rekonvaleszenz 8 Tage und Todesfälle
sind keine Seltenheit. Außerdem wurde es prophylaktisch an 156.000 Einwohner
des auf 180.000 Einwohner geschätzten Bezirkes verteilt. Die Erkrankungszahlen
wurden mit denen früherer Jahre und angrenzender Bezirke verglichen. Sie waren
deutlich niedriger.
Während diese Studie methodisch
nicht sonderlich eindeutig ist, ist die zweite klarer in ihren Vergleichen [11].
Hier wurde, ebenfalls prophylaktisch gegen Dengue-Fieber, Eupatorium C30 an
2000 Bewohner und damit 40% eines Bezirkes von São Paulo mit 4850 Einwohnern
ausgegeben. Allerdings wurden die Erkrankungszahlen hier mit Hilfe eines
Registers mit den Zahlen der umliegenden Distrikte verglichen und eine
Rückgangsfaktor-Berechnung gemacht. Dabei wird die Anzahl der Fälle, die zu den
Hochzeiten der Infektion gemessen wurden, mit denen danach verglichen und der
prozentuale Rückgang berechnet. Während die Fallzahlen im behandelten Bezirk um
81% sanken, waren das in den angrenzenden Bezirken nur 10% bis 48%, was den
Rückgangsfaktor im behandelten Bezirk statistisch deutlich grösser macht.
Interessant daran scheint mir zu sein, dass dies trotz der nicht vollständigen
Behandlung funktioniert hat.
Leptospirose in Cuba
Eine
letzte Studie dieser Art stammt aus Cuba und verfolgte einen anderen Ansatz [12].
In Cuba, wie in anderen tropischen Ländern auch, spielt die Leptospirose als
Infektionskrankheit eine große Rolle. Sie kann schwere Enzephalitis,
Lungenentzündung und Sepsis auslösen. Verursachend dabei ist ein Bakterium,
eine Spirochäte, also die Gruppe von Bakterien die auch für Syphilis oder
Borreliose verantwortlich ist. Es kommt dort, ohne Symptome zu verursachen, in
Wirtstieren wie etwa Hunden, Pferden, Mäusen und Ratten vor.
Wenn es sehr feucht ist und überall
viel Wasser herumsteht, können sich die Spirochäten aus dem Urin der Tiere dort
im Wasser halten und Menschen über Wunden oder Schleimhautkontakt infizieren.
Es gibt an sich in Cuba und anderswo eine Impfung gegen diese Krankheit. Aber
zum einen ist sie nur in 78% der Fälle wirksam und zum anderen war es in Cuba
offenbar nicht möglich, diese Impfung allen angedeihen zu lassen. Auch
Chemoprophylaxe mit Antibiotika ist möglich, aber durch die kurze Halbwertszeit
der Antibiotika muss diese relativ lang durchgeführt werden und auch das war
offenbar zu dieser Zeit in Cuba nicht möglich.
Ein riesiges nationales Experiment
So
wurde in dieser Studie von einem riesigen nationalen Experiment berichtet, weil
im Jahr 2007 durch Tornados und Regenfälle die Lage rasch eskalierte. Der
östliche Landesteil mit 2.5 Millionen Einwohnern wurde zur Interventionsgegend
erklärt, der westliche Landesteil mit etwas mehr als 8.8 Mio Einwohnern war die
Vergleichsgegend, in der nichts passierte. Etwa 3% der Menschen in der
Interventionsgegend erhielten Impfung und Chemoprophylaxe. Alle erhielten eine
homöopathische Prophylaxe.
In
diesem Fall bestand sie aus einer sog. Nosode aus verschiedenen
Leptospirochäten. Nosoden sind Arzneimittel, bei denen entweder die Erreger
selber oder Krankheitsmaterial von Patienten potenziert werden. In dieser
speziellen Arznei waren es vier verschiedene Spirochätenstämme, die als
ursächlich in Frage kommen. Sie wurden inaktiviert und potenziert. Die
Betroffenen erhielten im Abstand von 7-9 Tagen zwei Dosen des Arzneimittels in
der C200 und danach zwei Dosen der Potenz C10.000 als präventive Gabe.
Das Interessante an dieser Studie
ist, dass es in Cuba zwar offenbar zu wenig Geld für Impfungen, dafür aber ein
sehr gut funktionierendes System der Gesundheitsdokumentation gibt. Denn die
Fälle in den verschiedenen Landesteilen wurden akribisch aufgezeichnet und so
konnte auch eine gute statistische Modellierung durchgeführt werden. Sie zeigt,
dass in der Interventionsregion die Anzahl der Fälle 2008 nur 16% von denen im
Jahr 2007 im vergleichbaren Zeitraum ausmachte, während sie in der
Vergleichsregion auf 122% verglichen mit dem Vorjahr angestiegen ist. Die
Zeitreihenmodellierung zeigt einen klar gebrochenen Zeittrend des Anstieges.
War das nun Folge der 3% der Bevölkerung, die geimpft waren? Vermutlich reicht
das nicht, um den Rückgang zu erklären. Denn die Fallzahlen waren in den
durchgeimpften Dörfern trotzdem hochgegangen.
Ein solches nationales Experiment
wäre klarerweise in unseren politischen Systemen völlig undenkbar. Daher ist es
auch ein einmaliger Datensatz, der zeigt, dass man mit potenzierten Substanzen
Prophylaxe betreiben kann. Allerdings lehrt die homöopathische Praxis, dass man
mit der Anwendung von Nosoden vorsichtig sein muss. Wenn man sie bei bereits Erkrankten
verwendet, kann der Schuss nach hinten losgehen und die Krankheit sich
verschlimmern. Daher ist der klassische Ansatz immer noch der, mit dem epidemisch
indizierten Arzneimittel, oder vielleicht auch einer Kombination von diesen zu
arbeiten.
Fazit: Relevanz für Covid-19
Das könnte unter Umständen auch in
der jetzigen Situation von Bedeutung sein. Das epidemisch relevante Arzneimittel
für die Covid-19-Pandemie ist noch nicht klar. Dazu ist die Zeit noch zu kurz.
Derzeit laufen einige Dokumentationsprojekte, über die wir im nächsten Teil
berichten, sobald wir Daten haben. Offenbar spielen auch bei dieser Epidemie
die homöopathischen Infektionsklassiker – Gelsemium, Bryonia, Phosphor,
Eupatorium, vielleicht Lobelia purp. und im Iran Camphora – eine Rolle. Aber
das werden wir sehen.
Wenn Sie als Arzt bereits Fälle gesehen und behandelt haben, können sie diese gerne mitteilen an
blog-wissenschaftskommunikation@wisshom.de
Wir reichen die Fallbeschreibung dann an ein Team von Ärzten weiter, die sich mit der Ermittlung des Genius epidemicus befassen.
Das wären die wichtigen Informationen, die man benötigen
würde:
Wie viele Fälle? – Sind sie durch Test bestätigt oder ist
die Diagnose klinisch? – Was waren die genauen Symptome (und Modalitäten)? – In
welcher Reihenfolge sind sie aufgetreten? – Wurde behandelt? – Mit welchem
Mittel / welchen Mitteln? – Ggf. andere zusätzliche Behandlungen? –
Behandlungsergebnis? – Innerhalb welcher Zeit trat ggf. eine deutliche
Besserung ein?
Aber bitte seien Sie vorsichtig:
Die ambulante Behandlung von COVID-19 Patienten birgt die
Gefahr der unerkannten manchmal rasch auftretenden Atemnot. Da ist erhöhte
Wachsamkeit gefordert, zumal viele Behandlungen telefonisch stattfinden werden.
Bitte zögern Sie ggf. auch nicht mit der Krankenhaus-Einweisung! Selbstverständlich
müssen die Schutz- und Quarantänemaßnahmen beachtet werden. Mit der häufig empfohlenen Einnahme von
Antipyretika und der so genannten „Grippemittel“ sollten die Patienten
allerdings eher zurückhaltend sein! – Die Senkung von Fieber ist nicht
unbedingt abwehrsteigernd.
Referenzen
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